Sonntag, 20. Dezember 2015

Die Weihnachtsgeschichte auf Mittelhochdeutsch - Das Marienleben des Schweizers Wernher

Die Geburt Jesu dargestellt in einer Schmuckinitiale in einer englischen liturgischen Handschrift (1310-1320)
https://en.wikipedia.org/wiki/Nativity_of_Jesus#/media/File:Nativity_01.jpg

Wohl jedem dürften die Weihnachtsgeschichten, jene im Neuen Testament zu findenden Erzählungen, die die Geburt Jesu von Nazareth schildern, aus dem Alltag, der Schule, dem (Eigen-)Studium oder aber auch aus dem Weihnachtsgottesdienst bekannt sein. Die Weihnachtsgeschichte nach dem Lukasevangelium ist dabei die bekanntere und jene, die traditionell an Weihnachten im christlichen Gottesdienst verlesen wird, während die Weihnachtsgeschichte nach dem Matthäusevangelium den meisten eher unbekannt sein dürfte. In diesem kurz!-Artikel soll aber eine andere Weihnachtsgeschichte im Mittelpunkt stehen, eine Weihnachtsgeschichte auf Mittelhochdeutsch, die Teil eines im 14. Jahrhunderts verfassten Marienlebens ist. Aufgrund der Tatsache, dass sich der Schreiber bei der Fertigstellung seines Marienlebens vor allem auf Apokryphen, nicht in den biblischen Kanon aufgenommene Texte, bzw. Werke stützte, die sich ihrerseits an apokryphen Schriften orientieren (z.B. Vita beatae virginis Mariae et salvatoris rhythmica), bietet es einige Änderungen und Zusätze zu den aus dem Neuen Testament bekannten Weihnachtsgeschichten, denen dieser kurz!-Artikel nachgehen möchte.

Sonntag, 13. Dezember 2015

Alexandrine von Taxis

Seit 1595/1597 existierte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation die Kaiserliche Reichspost, die seit ihrer Gründung durch Kaiser Rudolf II. (1552-1612) ununterbrochen bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1806 von Mitgliedern der Familie Taxis von Brüssel aus betrieben wurde. Aus der langen Reihe von Generalpostmeistern nimmt dieser Artikel eine ganz besondere Person in den Blick: Alexandrine von Taxis, die einzige weibliche Generalpostmeisterin in der Geschichte der Kaiserlichen Reichspost oder wie sie von dem Historiker Wolfgang Behringer bezeichnet wurde, die „Managerin der Reichspost zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges“.

Porträt von Alexandrine von Taxis auf einem Reiter- oder Hochzeitsteppich von 1646
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/02/Alexandrine_von_Taxis.jpg/800px-Alexandrine_von_Taxis.jpg

Sonntag, 6. Dezember 2015

Wilhelm der Eroberer: Die normannische Landnahme und deren Folgen

„Die Angelsachsen, nach denen die Jahre 597 bis 1066 benannt worden waren (Anglo-Saxon England), wurden entmachtet, die militärische und politische Elite in der Schlacht bei Hastings fast vollkommen ausgelöscht und das angelsächsische England durch die normannische Politik quasi „abgelöst“.“

Mit diesem Satz endete unser Artikel „Wilhelm der Eroberer und der Beginn des englischen Mittelalters“ [kurz!-Artikel: Wilhelm der Eroberer und der Beginn des englischen Mittelalters], der den Nachfolgestreit nach König Eduards Tod in England und damit verbunden die normannische Landnahme durch Wilhelm den Eroberer thematisiert sowie bereits einen ganz kurzen Ausblick auf die folgenden Jahrzehnte gegeben habe. Nachdem Wilhelm gekrönt worden war, blieb er bis zu seinem Tod am 9. September 1087 König Englands und gründete durch die Nachfolge seines Sohnes Wilhelm Rufus eine Dynastie. Obwohl bereits König Eduard der Bekenner (König von 1042 bis 1066) eine pro-normannische Politik verfolgte – seine Mutter Emma war eine normannische Herzogstochter –, stieß diese politische Ausrichtung nicht überall im Königreich auf Gegenliebe. Wilhelm der Eroberer schaffte es dennoch seine Herrschaft zu etablieren und auszubauen. Mit welchen Mitteln stabilisierte er sie? Mit welchen Problemen hatte der englische König zu kämpfen und wie versuchte er diese zu lösen? Die Beantwortung dieser Fragen steht im Mittelpunkt dieses Artikels. Die meisten Maßnahmen Wilhelms würden jeweils einen eigenen Artikel verdienen. Dieser Artikel soll vor allem einen Überblick über die Vielzahl der Veränderungen bieten und einen Einblick in den Gesellschaftswandel liefern.

Wilhelm der Eroberer auf dem Teppich von Bayeux / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/Bayeuxtapestrywilliamliftshishelm.jpg

Sonntag, 29. November 2015

Die Ehefrauen Heinrichs VIII., Teil III: Jane Seymour

Portrait Heinrichs VIII. von Hans Holbein d. J. (1536/7)
(https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/57/Holbein_henry8_full_length.jpg)

Dieses Bild zeigt den schon fast legendären englischen König Heinrich VIII. (1491-1547) im Alter von ca. 45 Jahren. Bekannt wurde er unter anderem dafür, dass er die Reformation in England entscheidend vorantrieb, aber auch für seine insgesamt sechs Ehen, von denen zwei mit der Enthauptung seiner Gattinnen endeten. Während meistens Heinrich selbst im Fokus der Aufmerksamkeit steht, werden wir uns in unserer kurz!-Reihe mit seinen Ehefrauen beschäftigen. Im Mittelpunkt des dritten Teils dieser Reihe steht Jane Seymour (1509-1537), die Heinrich VIII. im Mai 1536 zu seiner dritten Ehefrau machte.

Sonntag, 22. November 2015

Der Theuerdank Kaiser Maximilians I.

„Die geuerlicheiten und eins teils der geschichten des loblichen streytparen vnd hochberümbten helds und Ritters herr Tewrdanncks“. Unter diesem Titel erschien 1517 in Nürnberg ein kunstvoller Pergamentdruck, um den es in diesem Artikel gehen soll. Die Rede ist von einem Auftragswerk Kaiser Maximilians I. (1459-1519), das heute unter dem Namen Theuerdank bekannt ist und das in seiner Ausgestaltung zu den prachtvollsten Drucken aus der Frühphase des Buchdrucks zählt. Darüber hinaus ist es ein interessantes Beispiel für die Nutzung des Mediums Buch durch Maximilian als Mittel zur Festigung seiner Herrschaft. 

Seite aus der Theuerdank-Ausgabe von 1517
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1a/Theuerdank-1.jpg

Sonntag, 15. November 2015

Die Ehefrauen Heinrichs VIII., Teil II: Anne Boleyn und die Scheidung von Katharina von Aragon


Heinrich VIII. als junger Mann (um 1509), https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_VIII._%28England%29#/media/File:Henry_VIII_%28reigned_1509-1547%29_by_English_School.jpg

Dieses Bild zeigt den schon fast legendären englischen König Heinrich VIII. (1491-1547) im Alter von etwa 18 Jahren. Bekannt wurde er unter anderem dafür, dass er die Reformation in England entscheidend vorantrieb, aber auch für seine insgesamt sechs Ehen, von denen zwei mit der Enthauptung seiner Gattinnen endeten. Während meistens Heinrich selbst im Fokus der Aufmerksamkeit steht, werden wir uns in unserer kurz!-Reihe mit seinen Ehefrauen beschäftigen. Im diesem Teil der Reihe wird es um seine erste große Obsession, Anne Boleyn (1501/1507-1536), gehen, die er zu seiner zweiten Ehefrau machte.
 

Sonntag, 8. November 2015

Thronfolge im Mittelalter III

Teil III: Designation & Patrimonium


Das Nachfolgeproblem von Wilhelm dem Eroberer
Als Wilhelm der Eroberer, König Englands seit 1066 [Artikel: Wilhelm der Eroberer und der Beginn des englischen Mittelalters], am 9. September 1087 in Rouen infolge einer Krankheit oder inneren Blutung starb, lebten noch drei Söhne seiner Söhne: Robert Curthose (*1054), Wilhelm Rufus (* zwischen 1057 und 1060) und Heinrich Beauclerc (*1068). Sein zweitgeborener Sohn Richard war bereits bereits 1081 nach einem Jagdunfall gestorben. Die Nachfolge schien auf den ersten Blick und verglichen mit weiteren Nachfolgeregelungen [siehe die Artikel: Thronfolge im Mittelalter I & II], beispielsweise im Ost- und Westfrankenreich, eindeutig. Die primogenitur und Individualsukzession [siehe Thronfolge im Mittelalter II] hatten sich etabliert und besagten, dass der Erstgeborene, hier also Robert Curthose, das alleinige Erbe seines Vaters antreten werde. Warum aber wurde mit Wilhelm Rufus der Drittgeborene der nächste König Englands? Wurde Robert Curthose vollständig enterbt oder mit einem „kleineren“ Erbe versehen? Und welche Rolle spielte das normannische Recht in der Nachfolgeregelung Wilhelms?
Wilhelm der Eroberer (m.) mit seinen Halbbrüdern Odo und Robert in einem Ausschnitt des Teppichs von Bayeux / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/95/Bayeuxtapestryodowilliamrobert.jpg

Sonntag, 25. Oktober 2015

Der Brand Londons 1666


Unbekannter Künstler, Das Feuer am Dienstag, dem 4. September 1666https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/Great_Fire_of_London.jpg

„I up to the top of Barking steeple, and there saw the saddest sight of desolation that I ever saw. Everywhere great fires. Oyle-cellars and brimstone, and other things burning. I became afeared to stay there long; and therefore down again as fast as I could, the fire being spread as far as I could see it, […].”

So beschrieb der Augenzeuge Samuel Pepys am 5. September 1666 den Brand Londons. Pepys (1633-1703) war Präsident der Royal Society, Abgeordneter des House of Commons sowie akribischer Tagebuchschreiber und Chronist seiner Zeit. Sein Tagebuch, welches er insgesamt von 1660 bis 1669 führte, thematisiert zwar hauptsächlich die Herrschaft Karls II. (1630-1685), ist dabei aber gleichzeitig eine der wichtigsten zeitgenössischen Quellen für das „Great Fire of London“. In unserem Artikel soll es aber nicht so sehr um Samuel Pepys gehen, sondern vielmehr um die Ursachen und die Folgen des Brandes, der während der fünf Tage, in denen er wütete, einen Großteil der Stadt an der Themse zerstörte.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Das Kinderbischofsfest im Mittelalter

In den Casus Sancti Galli, den St. Galler Klostergeschichten, berichtet der frühmittelalterliche Chronist Ekkehard IV. von St. Gallen (980-1057) davon, dass Konrad I. (881-918), König des Ostfrankenreiches, nach Weihnachten 911 ins Kloster St. Gallen gereist sei, um dort einem bestimmten Klerikerfest beizuwohnen, in dessen Mittelpunkt eine Prozession von Knaben („in processione infantum“) gestanden habe. Dieser Bericht Ekkehards IV. ist die früheste Erwähnung jenes Festes, das im Vordergrund dieses kurz!-Artikels stehen soll: das mittelalterliche Kinderbischofsfest. Dieser Artikels soll dabei die Fragen beantworten, was Kinderbischofsfeste waren, wo und wann ebendiese zelebriert wurden und wer an diesen Festen, die für zahlreiche Städte des heutigen Deutschlands (bspw. Hamburg, Eichstätt, Lübeck, Mainz), Frankreichs (bspw. Paris, Amiens, Soissons, Reims) oder Englands (bspw. Salisbury, Cambridge, Canterbury, Exeter) sowie Italiens und Spaniens belegt sind, teilnahm.

Sonntag, 4. Oktober 2015

Vittoria Colonna - Teil 2*

Im ersten Teil unseres Porträts über Vittoria Colonna haben wir bereits erfahren, wie Vittoria aus politischen Gründen mit Ferrante d’Avalos verheiratet wurde. Doch während dieser im Krieg für die spanische Krone gegen die Franzosen kämpfte, blieb Vittoria auf Ischia zurück. Als Ferrante 1525 in der Schlacht von Pavia fiel, verarbeitete Vittoria den Tod ihres Ehemannes in ihrer Dichtung und wandte sich immer mehr der Spiritualität und Reformation zu.  
Colonna wollte sich nach dem Tod Ferrantes zunächst in das römische Kloster San Silvestro in Capite zurückziehen und dem Orden als Schwester beitreten, um sich ganz und gar dem religiösen Leben zu widmen. Dies wurde ihr aber von ihrem Bruder Ascanio (1500-1557) und Papst Clemens VII. (1523-1534) untersagt, wohinter wahrscheinlich politische Motive standen. Denn Colonna genoss großes Ansehen bei Kaiser Karl V. (1500-1558), nicht zuletzt durch die Verdienste ihres Ehemannes. Auch hatte sie ein besseres Verhältnis zu Papst Clemens VII. als ihr eher als aufbrausend und unvernünftig geltender Bruder Ascanio, der nach dem Tod des Vaters 1520 Familienoberhaupt geworden war, weswegen Vittoria eine Art Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Parteien einnahm. Tatsächlich sollte die Beziehung zwischen dem Hause Colonna und Papst Clemens VII. jedoch in den folgenden Jahren angespannter werden und schließlich unter Papst Paul III. (1534-1549) im sogenannten Salzkrieg enden, da Ascanio sich weigerte die von Paul III. erhöhte Salzsteuer zu zahlen.

Sonntag, 27. September 2015

Das Ritual des Sitzens

Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum es geregelte Sitzordnungen in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens gibt? Der Bundestagspräsident sitzt den Abgeordneten vorne in der Mitte und leicht erhöht gegenüber. Die Plätze der Abgeordneten im Bundestag sind ebenfalls nicht zufällig gewählt: Der Fraktionsvorsitzende jeder Partei sitzt in der ersten Reihe. Es gibt keine Partei, die ausschließlich hinter einer anderen sitzt. Das Brautpaar sitzt häufig am Kopf einer Tafel oder an einem separaten Tisch mit Blick auf alle Gäste. Bei den meisten Menschen gibt es zu Hause ebenfalls eine feste Sitzverteilung. Und in China sitzt der Gastgeber oder der Gast mit dem höchsten Status in der Mitte mit Blick nach Osten oder auf den Eingang. Die Form der Tische, ob rund oder lang, ist ebenfalls entscheidend: Runde Tische werden meist gewollt genutzt, um eine Gleichrangigkeit der Personen zu betonen; an länglichen Tischen kann eine Rangordnung dargestellt werden. Solche Beispiele von Sitzordnungen lassen sich endlos weiterführen.
Wo aber liegt der Ursprung dieses allgemein bekannten und manifestierten Rituals? Was genau macht ein Ritual eigentlich aus? Auf Basis welcher Grundregeln wird bestimmt, wer wo sitzen muss? Warum machen sich Personen Gedanken darüber, wo andere sitzen sollen und warum brechen Streitigkeiten der „sitzenden“ Personen untereinander aus? Dieser Artikel widmet sich der Beantwortung dieser Fragen und taucht zeitgleich ein in die Welt des Mittelalters, in der der Ursprung dieses Rituals begründet liegt und auf eine korrekte Sitzordnung noch weitaus mehr Wert gelegt wurde als heute.

Sonntag, 20. September 2015

Die Ehefrauen Heinrichs VIII., Teil: Katharina von Aragon



Heinrich VIII. als junger Mann (um 1509), https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_VIII._%28England%29#/media/File:Henry_VIII_%28reigned_1509-1547%29_by_English_School.jpg

Dieses Bild zeigt den schon fast legendären englischen König Heinrich VIII. (1491-1547) im Alter von etwa 18 Jahren. Bekannt wurde er unter anderem dafür, dass er die Reformation in England entscheidend vorantrieb, aber auch für seine insgesamt sechs Ehen, von denen zwei mit der Enthauptung seiner Gattinnen endeten. Während meistens Heinrich selbst im Fokus der Aufmerksamkeit steht, werden wir uns in unserer neuen kurz!-Reihe mit seinen Ehefrauen beschäftigen. Im ersten Teil der Reihe wird es deshalb um seine erste und langjährigste Ehefrau Katharina von Aragon (1485-1536) gehen.

Sonntag, 13. September 2015

Vittoria Colonna - Teil 1*



Sebastiano del Piombo - Vittoria Colonna / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/91/Vittoria_colonna_from_barcelona.jpg

Vittoria Colonna, marchesa di Pescara, (1490-1547) gilt als eine der bedeutendsten italienischen Dichterinnen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wovon nicht zuletzt die ihr gewidmeten Verse aus Ludovico Ariosts berühmtem Orlando Furioso („Der rasende Roland“) zeugen:

e dà tal forza all’alte sue parole,
ch’orna a’ dì nostri il ciel d’un altro sole.
Vittoria è ’l nome; […]

[und sie gibt ihren Worten eine solche Kraft,
dass sie unserer Tage den Himmel mit einer zweiten Sonne schmückt.
Vittoria ist ihr Name…]
(Ludovico Ariosto, Orlando Furioso, XXXVII, 15-18.)

Im Laufe ihres Lebens wurde Vittoria Zeugin der politischen Auseinandersetzungen im kriegsgebeutelten Italien, das als Schlachtfeld zwischen der französischen und spanischen Krone Verwüstung und Tod erlebte. Als Mitglied der römischen Adelsfamilie Colonna erlebte Vittoria die Folgen dieser Auseinandersetzungen aus nächster Nähe: Durch eine arrangierte Heirat aus politischen Motiven kam sie an den aragonesischen Hof der Familie d’Avalos auf Ischia. Früh jedoch wurde sie Witwe, weil ihr Ehemann im Feldzug gegen den französischen König François I. (1494-1547) fiel. Nach dem Tod ihres Gatten wandte sich Vittoria immer mehr der Spiritualität zu und beteiligte sich an den religiösen und reformatorischen Bewegungen in Italien. So verteidigte sie den neu gegründeten Kapuziner-Orden, folgte dem Prediger Bernardino Ochino (1474-1564), der später vor der Inquisition in die Schweiz fliehen musste, und beteiligte sich an der sogenannten Ecclesia viterbensis, einer Gruppe von Kardinälen, Theologen und Intellektuellen, die zu Beginn der 1540er Jahre über eine Reform der Kirche diskutierten.
Heute jedoch ist Vittoria Colonna eher eine Unbekannte, nicht nur für deutschsprachige Leser, sondern trotz großer Bemühungen seitens der italienischen Kulturwissenschaften auch immer noch in Italien. Dem will dieser Beitrag entgegenwirken und Interesse wecken, das Leben und Werk der Vittoria Colonna zu entdecken. 

Sonntag, 6. September 2015

Johannes Corputius – Duisburger Student und niederländischer Unabhängigkeitskämpfer*


"Bei uns ist Johannes Corputius ein Niederländer. […] Er ist ein Mann, der offenbar mit einem sehr reichen Verstande ausgestattet ist. Äußerst erfahren in der griechischen, lateinischen, französischen und deutschen Sprache, sowie in vielen Disziplinen, ist er ebenso ein hervorragender Mathematiker, ein beachtlicher Dichter und ein vorzüglicher Musiker. Neben diesen Fertigkeiten hat er eine nicht geringe Erfahrung im Stechen, sowie die Übung, in Kupfer zu gravieren oder zu zeichnen, und zwar so, daß er es versteht, Landschaften, Städte, Festungen und Burgen aufs genaueste zu kartieren und kunstgerecht durch Zeichnen oder Stechen wiederzugeben."

1570 listete der Rechtsgelehrte und Professor für Rhetorik an der Straßburger Universität, Hugo Blotius, eine Reihe von Eigenschaften und Fertigkeiten des Corputius auf, der sich zu diesem Zeitpunkt als Student in Straßburg immatrikulierte. Demnach spreche der Niederländer eine große Anzahl an Sprachen und beherrsche die Kunst der Kartographie und der Vermessungstechnik. Wer ist dieser junge Mann namens Johannes Corputius und wo erlernte er seine vielen Kenntnisse, die an die Fähigkeiten eines Universalgelehrten erinnern? Was waren wichtige Stationen in seinem Leben und wie vollzog sich seine Entwicklung von einem wissbegierigen Studenten hin zum Hauptmann niederländischer Truppen im Unabhängigkeitskrieg gegen die Weltmacht Spanien im 16. Jahrhundert?

Portrait des Johannes Corputius auf dem Duisburger Stadtplan von 1566 / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/JohannesCorputius.png

Sonntag, 30. August 2015

Meister Franz, Scharfrichter in Nürnberg

„Anfang des 1582 Jahrs
 […]
68) Den 27. Sept. Valentin Ernst, von Wehr, ein Tüchner und Imen Dieb, welcher zuvor zu Schwabach, der Imen halben mit Ruthen ausgestrichen worden, zu Nürnberg mit den Strang gericht.“

Diese Beschreibung der Bestrafung eines Diebes zunächst mit einer Leibesstrafe und dann mit dem Tod durch den Strang, vollstreckt am 27. September 1582 in Nürnberg, stammt aus dem Tagebuch des Nürnberger Scharfrichters Franz Schmidt (ca. 1555-1634), um den und dessen Beruf es in diesem Artikel gehen soll und der die oben beschriebene Hinrichtung vorgenommen hat.

Sonntag, 23. August 2015

Der Aderlass im Mittelalter

Das „pluot [ist] rot vnd schoen […], der [Mensch] ist gesunt avn zwifel.“ So ähnlich könnte der positive Befund eines Arztes im Mittelalter nach einem der ältesten medizinischen Verfahren überhaupt geklungen haben: dem Aderlass bzw. der Phlebotomie. Dieser kurz!-Artikel widmet sich dem besagten medizinischen Heilverfahren und versucht, zu beantworten, wo die Ursprünge des Aderlasses liegen, wann und wogegen das Verfahren im Mittelalter angewandt wurde sowie wer und vor allem wie jemand zur Ader gelassen wurde.

Sonntag, 16. August 2015

Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter? Teil III

Die ersten beiden Teile der Reihe „Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter?“ (Teil I & Teil II) skizzierten den Weg Heinrichs als zunächst auf allgemeinen Konsens bedachten König über seine Kaiserkrönung und die folgenden Auseinandersetzungen mit einigen Fürsten des Reiches bis hin zur Bildung einer für das Wohl des Reiches gerichteten Fürstengemeinschaft über alte Konflikte und Parteien hinweg. Die Macht und das Ansehen Heinrichs im Reich schwanden immer weiter: Die Anzahl der von Heinrich ausgestellten Urkunden von 1117 bis 1121 war verschwindend gering, da niemand von ihm solche erbat. Die Fürstengemeinschaft übernahm in seiner Abwesenheit deutlich mehr Verantwortung für das Reich als bisher, indem sie Heinrich, der die jahrelangen Konflikte mit seinen Fürsten und dem Papst nicht beilegen konnte/wollte, vor die Wahl zwischen Rückkehr oder Absetzung stellten. 

Aus einem Evangeliar des Klosters St. Emmeran in Regensburg: Heinrich V. mit Krone, Szepter und Reichsapfel [Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/0/08/Heinrich_V._Evangeliar_aus_St._Emmeram.JPG]

Sonntag, 9. August 2015

Der Sturz Heinrichs des Löwen

„Der Herzog übergab sich vollständig der Gnade des Kaisers und warf sich ihm zu Füßen. Der hob ihn vom Boden auf und küßte ihn nicht ohne Tränen, weil ein solcher Gegensatz zwischen ihnen so lange gedauert habe und er [Heinrich] selbst der Grund einer solchen Erniedrigung gewesen sei. Ob die Tränen wahrhaftig waren, steht zu bezweifeln. Denn er scheint sich nicht wirklich über ihn erbarmt zu haben, weil er ihn nicht in den Stand der früheren Ehre zu bringen versuchte. Allerdings konnte er das im Moment wegen eines Eides auch gar nicht tun. Zuvor, als alle Fürsten auf seine Absetzung drängten, schwor ihnen der Kaiser beim Thron seiner Herrschaft, daß er ihn niemals in seine frühere Position einsetzen werde, wenn nicht das Einverständnis aller vorläge. Gleichwohl wurde über ihn verfügt, daß er sein Erbgut, wo immer die Ländereien lagen, ohne jede Einschränkung völlig frei besitzen dürfe.“
(Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum II 22, zitiert nach Görich, S. 110.)

Mit diesen Worten beschreibt Arnold von Lübeck in seiner Slawenchronik die Unterwerfung Heinrichs des Löwen (1129/1130 oder 1133/3-1195) unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa (um 1122-1190) im November 1181. Mit derartigen Unterwerfungszeremonien wurde im Mittelalter der sogenannte honor, also die Ehre einer Person oder des Reiches wiederhergestellt, nachdem sie verletzt worden war. Dadurch waren ebensolche Zeremonien von einen hohem symbolischen Wert. Doch wie war es überhaupt zu einer Ehrverletzung durch Heinrich den Löwen, Herzog von Sachsen und Bayern gekommen, in deren Folge ihm, wie Arnold von Lübeck berichtet, seine Herzogstitel entzogen wurden? Und was hat es mit den Tränen des Kaisers und dessen Eid gegenüber den Reichsfürsten auf sich, der es ihm nicht erlaubte, Heinrich, mit dem ihn nicht nur Verwandtschaft, sondern auch einst eine enge Freundschaft verbunden hatte, wieder in seine alten Stellungen einzusetzen? Mit diesen Fragen soll sich der heutige Artikel beschäftigen.

Sonntag, 26. Juli 2015

Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand

„Unter den altertümlichen Resten war mir, von Kindheit an, der auf dem Brückenturm aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers merkwürdig gewesen, der von dreien oder vieren, wie die leeren eisernen Spitzen auswiesen, seit 1616 sich durch alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von Sachsenhausen nach Frankfurt zurückkehrte, hatte man den Turm vor sich, und der Schädel fiel ins Auge. Ich ließ mir als Knabe schon gern die Geschichte dieser Aufrührer, des Fettmilch und seiner Genossen erzählen, wie sie mit dem Stadtregiment unzufrieden gewesen, sich gegen dasselbe empört, Meuterei angesponnen, die Judenstadt geplündert und gräßliche Händel erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiserlichen Abgeordneten zum Tode verurteilt worden.“

Diese zitierte Passage stammt von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und findet sich im vierten Buch des ersten Teils seiner Autobiographie Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. In wenigen Worten schilderte Goethe hier die Geschehnisse, die sich zwischen Sommer 1612 und Frühjahr 1616 in Frankfurt am Main zugetragen haben und offensichtlich bis in Goethes Gegenwart nachwirkten. Die Rede ist vom sogenannten Fettmilch-Aufstand, benannt nach seinem Anführer, dem Lebkuchenbäcker Vinzenz Fettmilch (um 1565-1616), um den es in diesem Artikel gehen soll.

Sonntag, 19. Juli 2015

Die „Kinderkreuzzüge“ von 1212


Ipso anno [1212] contigit res satis miranda et ideo magis miranda, quia a seculo inaudita“ (In demselben Jahr 1212 ereignete sich eine überaus wunderbare Sache und deswegen so überaus wunderbar, weil sie seit Anbeginn der Welt unerhört war). Mit diesen Worten leitet die zweite Fortsetzung der Kölner Königschronik ein Ereignis ein, das bis heute in der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu den Kreuzzügen immer wieder thematisiert und auch wenn es keine eindeutigen Quellen gibt, die dies belegen, als Legende betrachtet wird: der „Kinderkreuzzug“, der 1212 in Speyer seinen Anfang nahm. Dieser und auch der fast gleichzeitig stattfindende französische „Kinderkreuzzug“ sollen im Mittelpunkt dieses Artikels stehen. Es werden dabei zuerst die Charakteristika und die Besonderheiten vorgestellt, um in einem nächsten Schritt beurteilen zu können, ob bei den sogenannten peregrinationes puerorum des Jahres 1212 von „Kinderkreuzzügen“ bzw. Kreuzzügen im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann.

Sonntag, 12. Juli 2015

Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter? Teil II

Der erste Teil der Reihe „Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter?“ umfasste Heinrichs Weg zum König- und Kaisertum sowie sein erfolgreiches Bestreben, die Fürsten des Reiches nach konfliktreichen Jahrzehnten unter seinem Vater Heinrich IV. wieder zu einen und schloss mit dem Ausblick auf das Jahr 1115 und dem vermeintlichen Ende der erfolgreichen Herrschaftszeit Heinrichs V.:Statuto itaque tempore dum ipse Mogontiae presens condictum frustra prestolatur conventum – nam preter paucos episcopos nemo principum adventabat […].“(Ekkehard von Aura, Chronica ad a. 1115, Rec. III, S. 314f.) („Während er selbst zur festgesetzten Zeit in Mainz zugegen war und den angesagten Hoftag vergebens erwartete – denn außer einigen wenigen Bischöfen kam keiner der Fürsten […].“) Dieser zweite Teil der Reihe widmet sich den Ursachen des Niedergangs der Fürstenunterstützung gegenüber Kaiser Heinrich V. sowie dem Wandel des Herrschaftsverständnis Heinrichs.

obere Reihe links: Heinrich V., mittig sein Vater Heinrich IV.; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3e/Heinrich_im_Evangeliar_von_St._Emmeram.jpg

Sonntag, 28. Juni 2015

Der Rattenfänger von Hameln

Wohl vermutlich jeder hat schon einmal entweder in Erzählungen, in der Schule, in Geschichtsbüchern, in historischen Romanen oder bei der Beschäftigung mit mittelalterlichen Sagen von jenem bunt gekleideten Mann gehört, der im 13. Jahrhundert Flöte spielend die niedersächsische Stadt Hameln von einer Rattenplage befreit haben soll. Dass der Kern dieser Sage aber vielmehr auf den Auszug bzw. die magische Entführung von 130 Kindern aus der Stadt Hameln zurückgeht, dürfte dabei nur den wenigsten bekannt sein. In diesem kurz!-Artikel soll dargestellt werden, wie sich die Hamelner Sage im Laufe der Jahrhunderte formte und wie aus einer männlichen Sagengestalt, die mit ihrer silbernen Flöte Kinder anlockte, ein Rattenfänger und Kindesentführer wurde.

Sonntag, 21. Juni 2015

Die Artus-Legende

Eine Legende ist laut Duden eine „ausschmückende Darstellung, glorifizierende Erzählung, Geschichte“, „etwas, was erzählt, angenommen, behauptet wird, aber nicht den Tatsachen entspricht.“ Doch enthält nicht jede Legende auch einen Funken Wahrheit und einen Kern, der auf tatsächlichen historischen Begebenheiten beruht? Dieser Artikel begibt sich auf die Suche nach den Wahrheiten, die in der Artus-Legende enthalten sind.
Die Geschichten vom legendären König Artus, den britannischen Helden und übermächtigen Krieger, fanden durch den Geistlichen und Gelehrten Geoffrey von Monmouth (1100-1154) einen festen Platz in der Geschichte Großbritanniens. Stephan von Blois (König Englands von 1135 bis 1154) beauftragte besagten Geoffrey, eine umfassende Geschichte der Könige Britanniens zu schreiben, die Historia Regum Britanniae. Artus eignete sich als Persönlichkeit ausgezeichnet, um die britisch-normannische Thronfolge zu legitimieren: Monmouth zog eine genealogische Linie vom gegenwärtigen Königshaus über Artus bis hin zu legendären Familien Trojas und setzte soein historisches Fundament für die Nachfolger Stephans. Auch wurde das Werk von zahlreichen Schriftstellern und Dichtern wie beispielsweise John Leland und Sir Thomas Malory rezipiert. Darüber hinaus ist Artus bis heute als legendäre Figur bekannt und immer noch als Film-, Buch- und Videospielfigur beliebt und präsent.

Sonntag, 14. Juni 2015

Die Legende des Robin Hood

Zu den am weitesten verbreiteten Legenden des Mittelalters gehört sicher die über Robin Hood, den Gesetzlosen aus dem Sherwood Forest, der den Armen gibt, was er den Reichen abgenommen hat und für seinen geschickten Umgang mit Pfeil und Bogen bekannt ist. Wie bei zahllosen anderen Legenden auch drängt sich die Frage nach dem wahren Kern beinahe auf: Gab es eine historische Persönlichkeit, die als Vorbild für den legendären outlaw diente, und wenn ja, um wen handelte es sich dabei? Zudem durchlief die Geschichte rund um Robin Hood und seine Gefährten, von denen die Bekanntesten wohl Little John und Friar Tuck sind, im Laufe der Zeit eine inhaltliche Veränderung bis hin zu der Version, die heute beinahe jeder kennt und die auch in zahlreichen Filmen und Serien immer wieder neu erzählt wird. Um diese beiden Themenkomplexe soll es in diesem Artikel gehen.

Sonntag, 7. Juni 2015

Das Gehofische Nonnengespenst

In den Herbstmonaten des Jahres 1683 wurden die Einwohner des kleinen in der Grafschaft Mansfeld im heutigen Sachsen-Anhalt gelegenen Gehofen in Aufregung versetzt. Angeblich sei auf einem ehemaligen Rittergut plötzlich ein Gespenst erschienen, welches dort nun sein Unwesen treibe und besonders eine Bewohnerin schikaniere. Schnell verbreiteten sich die Erzählungen und Spekulationen, die sich um das bald sogenannte Gehofische Nonnengespenst rankten, auch über die Dorfgrenzen hinaus. Das Gespenst, welches von Oktober 1683 bis in die Frühlingsmonate des Jahres 1684 spukte, entwickelte sich dabei zu einer der bekanntesten Geistergeschichten seiner Zeit und wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein vor allem in protestantischen Gegenden rezipiert.

Freitag, 5. Juni 2015

100 Wörter – Das Mausoleum Quin Shi Huangdis

 
Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/22/Tomb_of_Emperor_Qin_Shi_Huang.jpg

Der Grabhügel Quin Shi Huangdis nahe Xi'an

Wie eine Landkarte des damaligen Chinas, mit einem Meer und Flüssen aus flüssigem Quecksilber, einem „Himmel“ mit Edelsteinen anstelle von Mond und Sternen, mit Palästen und malerischen Türmen sowie unvorstellbaren Schätzen, beleuchtet von lang brennenden Kerzen aus Walfett - so soll laut der Legende des Historikers Sima Qian (145/135 v. Chr.) das Grab des ersten Kaisers von China aussehen, das von 246 bis 208 v. Chr. erbaut wurde. Außer einer Messung eines erhöhten Quecksilbergehalts im Boden haben die chinesischen Behörden aus wirtschaftlichen Gründen und aus Angst vor möglichen Beschädigungen bislang nicht viel unternommen, um die Legende auf inhärente Wahrheiten zu prüfen.

Sonntag, 31. Mai 2015

Die Jungfrau von Orléans III – Rezeption und politische Instrumentalisierung

Die ersten beiden Teile unserer kurz!-Reihe über die Jungfrau von Orléans (Teil I & Teil II) beschäftigten sich mit dem Aufstieg und den ersten Erfolgen Jeannes bis hin zu ihrer Gefangennahme und dem Ketzereiprozess, der schließlich mit ihrer Hinrichtung endete. Der bereits im zweiten Teil der Reihe betrachtete Revisionsprozess, in dem die Jungfrau vollständig rehabilitiert wurde, deutete schon das Potential zur politischen Instrumentalisierung ihrer Geschichte an: Charles VII. konnte es nicht dulden, seine Krone einer verurteilten Ketzerin zu verdanken. Er strebte den Freispruch Jeannes von allen Vorwürfen an, um seiner eigenen Position mehr Legitimität zu verleihen. Auch später blieb sie Gegenstand politischer Argumentationen und Vergleiche zugunsten unterschiedlicher Ziele und Haltungen. Darüber hinaus ist Jeanne in Kunst, Literatur und Film bis heute eine der am häufigsten rezipierten Gestalten des Mittelalters, deren Faszination ungebrochen scheint. Mit dieser reichen Rezeptionsgeschichte, vor allem in der Literatur, aber auch mit der politischen Instrumentalisierung Jeanne d’Arcs soll sich dieser Artikel beschäftigen.

Sonntag, 17. Mai 2015

Das Buch aller verbotenen Kunst

Das Mittelalter kannte drei sogenannte Artesreihen, das heißt Sammlungen von Künsten (artes) zu einem bestimmten Wissensgebiet: die artes liberales, z. B. Rhetorik und Geometrie, die artes mechanicae, hierzu zählen unter anderem die Schmiede- und Webekunst, und die artes magicae, also magische und mantische, die Wahrsagerei betreffende, Kunstfertigkeiten. Jede der Reihen umfasste dabei jeweils sieben Künste, für die artes magicae waren es die folgenden: die Nigromantie (schwarze Kunst), die Geomantie, Hydromantie, Aeromantie, Pyromantie, das heißt die Weissagung aus Erde, Wasser, Luft und Feuer, die Chiromantie (die Kunst aus der Hand zu lesen) und die Spatulamantie, also die Weissagung aus dem Schulterblatt. Da sich diese Künste vor allem mit der Wahrsagerei beschäftigten, spricht man bei ihnen auch von Divinationskünsten. Der sich entwickelnde Fachbereich der magischen Künste ging dabei sowohl auf antike Traditionen, als auch auf den zunehmenden Kontakt mit der arabischen Welt zurück. Auch lassen sich Vermischungen von vorchristlichen Bräuchen mit den Ritualen der christlichen Religion oder anderer Religionen feststellen. Wichtig ist es jedoch, zwischen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Künsten auf der einen Seite und dem in der breiten Bevölkerung vorherrschenden Glauben an Magie und Mantik auf der anderen Seite zu unterscheiden.  

Ab dem 15. Jahrhundert gewannen gelehrte Formen der magischen Künste zunehmend an Bedeutung und stießen auf vermehrtes Interesse in gebildeten Kreisen. Lateinische Schriften wurden bearbeitet, übersetzt und einem größeren Rezipientenkreis zugänglich gemacht. Damit einhergehend war jedoch auch ein hauptsächlich von der Kirche geführter Kampf gegen eben jene nicht christlichen, in ihren Augen verbotenen Künste (artes prohibitae) und der Versuch, das Wissen über diese auszugrenzen und die jeweiligen Schriften zu verbieten. In diesem Kontext steht auch das circa um 1456 entstandene Puch aller verpotten kunst, unglaubens und der zaubrey, um welches es in diesem Artikel gehen soll.

Sonntag, 10. Mai 2015

Die Jungfrau von Orléans II – Prozess, Hinrichtung und Revisionsverfahren

Der erste Teil der kurz!-Reihe über Jeanne d’Arc, auch bekannt als „Jungfrau von Orléans“, beschäftigte sich mit Jeannes Herkunft, ihrem Aufstieg und ihrer Gefangennahme durch burgundische Truppen in Compiègne am 23. Mai 1430. Weder von Seiten des französischen Hofes, dem Jeanne doch in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen hatte, noch von der Stadt Compiègne, der sie zu Hilfe geeilt war, sind Bemühungen überliefert, die Jungfrau aus der Gefangenschaft zu befreien oder freizukaufen. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass es wohl bereits vor ihrer Gefangennahme einige Vorbehalte und Zweifel an ihrem göttlichen Auftrag bei Hof, im Adel und der Bevölkerung gegeben hatte, die nun offen zu Tage traten.

Mittwoch, 6. Mai 2015

100 Wörter - Das Ritual des Hundetragens

Widukind von Corvey, Sachsengeschichte (II, 6,72):
VI. […] Als der König diese Anmaßung vernahm, verurteilte er den Eberhard, als Buße eine Anzahl Pferde zu liefern, im Wert von hundert Pfund, und alle Kriegsobersten, die ihm dabei geholfen hatten, zu der Schande, Hunde zu tragen bis zu der königlichen Stadt Magdeburg.

Hundetragen als Strafe? Für uns klingt es merkwürdig, im Mittelalter jedoch war es ein öffentliches Ritual, das als Unterwerfung (deditio) galt und damit einen Konflikt zweier Konfliktparteien direkt beenden konnte. Warum aber Hunde getragen wurden, ist noch immer umstritten. Die wahrscheinlichste Möglichkeit: Sie galten bereits im Mittelalter als treue Tiere und das Tragen eines Hundes demonstrierte das erneuerte Hochhalten der Treue des Trägers, gleichzeitig der sich Unterwerfende, gegenüber der ranghöheren Person. Gelöst von unserer heutigen Sicht auf den Hund, galt er im Mittelalter aber auch als schmutziges Tier, welches sich in den Gassen von Resten ernährte – eine ungleich härtere Bestrafung?

Sonntag, 3. Mai 2015

Bube, Dame, König, Ass? - Kartenspiele im Mittelalter

Als im März 1376 in Florenz der „ludus, qui vocatur naibbe“ (das Spiel, das naibbe genannt wird) unterbunden wurde, war dies nicht nur das erste Verbot für Spielkarten in Europa sowie die erste und damit älteste Erwähnung eines Kartenspiels im europäischen Raum, sondern auch der Beginn dessen, was Hellmut Rosenfeld später als „Kartenspiel-Invasion“ bezeichnen sollte. Allerdings darf dieses florentinische Verbot nicht zu der Annahme verleiten, dass das Kartenspiel in Florenz erfunden wurde. Schon die Bezeichnung naibbe weist auf den Orient hin und führt uns bei der Frage des Ursprungs direkt nach Ägypten. 

Sonntag, 26. April 2015

Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter?

Heinrich V., römisch-deutscher König von 1106 bis 1125 und ab 1111 Kaiser, ist mit anderen Kaisern und Königen verglichen ein in der Forschung relativ unbeschriebenes Blatt und die Bewertung seiner Herrschaft nicht immer unumstritten. Monographien über Karl den Großen, Heinrich I., Otto den Großen, Friedrich Barbarossa und den meisten anderen Herrschern der verschiedenen Reiche stehen in den Regalen der Buchhandlungen – eine Monographie über Heinrich V. sucht man dort allerdings vergebens. Was macht Heinrich und seine Herrschaft so interessant, dass ich mich mit ihm beschäftige und eine Reihe über ihn veröffentliche?
Sein Vater Heinrich IV. (römisch-deutscher König von 1056 bis 1105) ist als „Büßer“ von Canossa, da er sich 1077 vor die Füße Papst Gregors VII. warf und mit diesem Gang politisches Kalkül bewies, um einer Absetzung durch die Fürsten zuvorzukommen, in die Geschichtsbücher eingegangen und ungleich bekannter. Doch die Herrschaft Heinrichs IV. zeichnete viel mehr aus als der Gang nach Canossa alleine. Zum Ende seiner Herrschaft war er nämlich alles andere als ein populärer Kaiser: Jahrelang konnte er das Herzogtum Sachsen aufgrund eines andauernden Konflikts nicht betreten und die sächsischen Fürsten wählten 1077 mit Rudolf von Rheinfelden sogar einen Gegenkönig mit Unterstützung des Papstes und der kirchlichen Reformpartei; die Großen des Reiches waren mit seiner eigensinnigen Herrschaft äußerst unzufrieden und ob Heinrichs Exkommunikation um ihr eigenes Seelenheil besorgt. Selbst sein erstgeborener Sohn Konrad, den er am 30. Mai 1087 bereits zum König krönen ließ, richtete sich gegen seinen Vater und nicht zuletzt brach der Investiturstreit nach dem Gang von Canossa erneut aus. Größter Kritikpunkt war Heinrichs IV. eigensinnige Herrschaft, denn ein Konsens mit den Großen – Stichwort: konsensuale Herrschaft – erschien ihm in seinen letzten Herrschaftsjahren nicht nötig. Die Fürsten im Reich, deren Stellung mit dem Verzicht auf einen Konsens natürlich litt, wollten eine Veränderung. Der Thronerbe Konrad begann 1093 einen Aufstand gegen seinen eigenen Vater und ließ sich in Mailand zum König von Italien wählen und krönen. Als er am 10. Mai 1098 von seinem Vater enterbt wurde, begann die Geschichte des zweiten Sohnes, Heinrich. Als Alternative zu Konrad wurde er schließlich 1099 zum Mitkönig gekrönt. 


Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a3/Herrschafts%C3%BCbergabe_von_Heirich_IV._an_Heinrich_V.jpg
Darstellung der Herrschaftsübergabe von Heinrich IV. an seinen Sohn Heinrich V. (Weltchronik des Ekkehard von Aura. Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Cod. Lat. 295, fol. 99r)

Sonntag, 12. April 2015

Gerhard Mercator - Kosmograph und Universalgelehrter des 16. Jahrhunderts*

„Gerardus Mercator, illustrissimi principis Iuliae, Cliviae, Montis etc. cosmographus longe exercitatissimus, editus est in Iucem anno millesimio quingentesimo duodecimo quinta Martii su auroram hora sexta…“

„Gerhard Mercator, der äußerst erfahrene Kosmograph des erlauchtesten Fürsten von Jülich, Kleve, Berg usw., kam zur Welt im Jahre 1512, am 5. März gegen Morgen um 6 Uhr…“ Diese genaue Beschreibung ist dem Duisburger Bürgermeister Walter Ghim (1530-1611) zu verdanken, ein guter Freund Mercators, der ihm zu Ehren die „Vita Mercatoris“ verfasste. Anhand dieser zeitgenössischen Quelle kann das Leben des bedeutenden Mathematikers, Geografen und Philosophen zuverlässig nachgezeichnet werden.

Sonntag, 5. April 2015

François Gayot de Pitaval und seine Kriminalgeschichten

Im heutigen Artikel geht es um den Alten und den Neuen Pitaval, zwei äußerst beliebte Sammlungen historischer und zeitgenössischer Kriminalfälle aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Diese sind bereits im Artikel über die Giftmörderinnen kurz zur Sprache gekommen und sollen nun genauer vorgestellt werden. Heute sind beide Werke beinahe in Vergessenheit geraten und mit ihnen eine ganze Literaturgattung. Dabei ist ein Blick in beide Ausgaben auch weiterhin sehr lohnenswert, stellen sie doch die spannendsten, ungewöhnlichsten und zum Teil auch schaurigsten Verbrechen und Kriminalfälle ihrer Zeit dar und sind zudem größtenteils online verfügbar.

Sonntag, 22. März 2015

Die Jungfrau von Orléans I – Aufstieg, Triumph und Gefangennahme

„Es traf, wie es schien durch die Hand Gottes, ein schwerer Schlag Euer dort bei Orléans zahlreich versammeltes Volk, meiner Ansicht nach hauptsächlich verursacht durch Aberglauben und blinde Furcht, welche ihm eine Schülerin und Anhängerin des Teufels, die Pucelle [Jungfrau] genannt, die von bösen Beschwörungen und Zauberei Gebrauch machte, eingeflößt hatte. Besagter Schlag und die Niederlage bedeuteten nicht nur einen großen zahlenmäßigen Verlust für Eure durch stehende Leute, sondern beraubten auch die Übriggebliebenen wunderbarlicherweise ihres Mutes.“
(Zitiert nach: Scheffel, Helmut, Vom Schlachtfeld zur Scheiterhaufen. Der Prozess der Jeanne d’Arc, in: Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte, hg. v. Uwe Schultz, München 1996, S. 103-113, S. 105.)

So berichtete der englische Regent, der Herzog von Bedford, seinem Neffen Heinrich VI., dem noch unmündigen König von England, im Mai 1429 vom Verlust der Stadt Orléans an die Franzosen. Am Sieg der französischen Seite war ein gerade 17-jähriges Mädchen aus dem Dorf Domrémy in Lothringen maßgeblich beteiligt, auf das Bedford in dem Brief als „Schülerin und Anhängerin des Teufels“ Bezug nahm: Jeanne d’Arc, auch bekannt als die „Jungfrau von Orléans“. Noch heute ist sie eine der bekanntesten Gestalten des französischen Mittelalters, wenn nicht sogar eine der bekanntesten historischen Frauengestalten überhaupt. Ihr Leben wurde in Kunst, Literatur und Film häufig rezipiert, aber auch von Königen und Politikern bis zum heutigen Tage zu Machtzwecken instrumentalisiert. Sie steht im Mittelpunkt dieser kurz!-Reihe.  

Sonntag, 15. März 2015

Vom Leben der Landsknechte I

Die Entstehung und Organisationsstruktur des Landsknechtwesens

Die Landsknechte, zu Fuß kämpfende deutsche Söldner des 15. und 16. Jahrhunderts, können heute als ein Kriegsvolk angesehen werden, das sich vor allem aufgrund seiner Extravaganz einen Namen in der Weltgeschichte gemacht hat. In Anlehnung an das schweizerische Söldnerwesen der ‚Reisläufer’ entstand in den 1480er Jahren mit den Landsknechten auch in den deutschen Territorien ein spezifisches, aus Fußknechten bestehendes und sich schnell entwickelndes Söldnerwesen. Diese Landsknechte waren es, die in den folgenden 150 Jahren im Kriegsdienst zahlreicher europäischer Fürsten standen und dort sowohl im Kampf gegen Fußtruppen als auch gegen berittene Krieger ihren Einsatz fanden.

In diesem Artikel der kurz!-Reihe soll die Entstehung, Anwerbung und Musterung sowie die Organisationsstruktur der Landsknechte aufgezeigt werden. Ebenso soll kurz berichtet werden, welche Gründe dazu führten, dass das Landsknechtwesen sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts auflöste. In einem zweiten Artikel soll dann spezifischer das Aussehen, die Bewaffnung und die Kleidung der Landsknechte dargestellt werden. Dabei sollen vor allem die Fragen beantwortet werden, welche Waffen für die Landsknechte typisch waren, wie sich die Extravaganz der Landsknechte in ihrer Kleidung äußerte und welchen modischen Veränderungen diese unterworfen war.

Vom Leben der Landsknechte II

Das Aussehen, die Kleidung und die Waffen der Landsknechte 

Wie bereits im ersten Teil dieser kurz!-Reihe zu den Landsknechten angedeutet, lag die Besonderheit dieser Söldner vor allem in ihrem extravaganten Auftreten, das vor allem verbunden war mit bunter, derber und auffälliger Kleidung. Die Waffen, die Mode und das Aussehen der Landsknechte sollen also den besonderen Schwerpunkt dieses Artikels ausmachen.

Aufsehen erregten Landsknechte im 15. und 16. Jahrhundert vor allem wegen ihrer vielfarbigen und häufig kontrastreichen Kleidung. Schnell hatten sie eine Art Gewohnheitsrecht durchgesetzt, dass es ihnen erlaubte, die Kleidung zu tragen, die sie tragen wollten. Noch 1530 beschloss daher der Augsburger Reichstag, dass „eyn kriegesman/ so eyn dienst hett oder hauptman und im Zugk were / […] sich nach der gestalt der leuff und wie jm gelgegen / kleyden“ könnte.

Grundlegend kann gesagt werden, dass die Mode der Landsknechte vor allem bunt, grellfarbig, facettenreich und aufgrund der freien Gestaltungsmöglichkeit vielfältig war. So wie das gesamte Landsknechtwesen sich nach dem Vorbild der Schweizer Reisläufer formiert hatte, wird heute angenommen, dass auch die Kleidung ihr Vorbild in Schweizer Fastnachtskleidern fand. Allgemein war die Landsknechtmode immer den Trends der Zeit unterworfen. So lassen sich französische, italienische oder venezianische Elemente in der Mode der Landsknechte wiederfinden. Wenngleich sich die Kleidungsstücke immer nach den neuesten Trends richteten, waren sie damit jedoch für den kämpfenden Söldner nicht auch gleichzeitig praktisch.

Sonntag, 22. Februar 2015

Giftmörderinnen in der Frühen Neuzeit

Wer sich mit Kriminalität in der Frühen Neuzeit beschäftigt, stößt mit großer Sicherheit auf den scheinbar immer wiederkehrenden Typus der weiblichen Giftmischerin oder Giftmörderin. Um diesen und dessen Ursprünge soll es in diesem Artikel gehen. Mit Gesche Gottfried soll zudem ein Beispiel für eine vermeintlich typische Giftmörderin vorgestellt werden.

Im Neuen Pitaval, einer äußerst beliebten Sammlung historischer und zeitgenössischer Kriminalfälle, die zwischen 1842 in 1890 in einer Vielzahl von Bänden erschien, finden sich allein 50 Fälle von Giftmord, die in der Mehrheit von Frauen begangen wurden. Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei der 1842 veröffentliche zweite Band der Reihe ein, in welchem insgesamt vier Fälle vorgestellt werden. Dabei handelte es sich um die Taten der französischen Marquise von Brinvillier (1676) sowie der deutschen Charlotte Ursinus‘ (1803), Anna Margareta Zwanzigers (1811) und Gesche Margarethe Gottfrieds (1831). Bereits vor der Veröffentlichung im Neuen Pitaval waren die Fälle teilweise unabhängig voneinander in Einzelstudien analysiert und untersucht worden, aber erst durch die Darstellung Wilhelm Härings, dem Editor des zweiten Bandes, wurden die vier Frauen zum „Viergespann der Giftmischerinnen“ und zu den „Heroinen des Giftmordes“ stilisiert. Dadurch wurde der Stereotyp der typisch weiblichen Giftmischerin geschaffen. Außerdem zeichneten sich die vier Beschreibungen in ihren Grundzügen durch eine große Ähnlichkeit aus und es wurde folgendes Bild entworfen: Frauen, die mit Gift morden, seien in ihrem Wesen äußerst lasterhaft. Gefährlich würden sie jedoch vor allem dadurch, dass sie gleichzeitig in ihrer Erscheinung sehr sinnlich seien und von einer Aura der Unschuld und der Tugend umgeben werden. Vermeintlich verfügen sie über ein Talent zur Heuchelei und Listigkeit, wodurch sie sich das Vertrauen ihrer Opfer erschleichen. Die Motivation für ihre Taten wurde dabei zumeist mit Habsucht, Gier, Grausamkeit und der Freude am qualvollen Töten benannt. Angebliche Verbindungen zu Hexerei oder zum Teufel waren auch ein immer wiederkehrendes Muster. Durch alle diese vermeintlichen Charaktereigenschaften würden sie dazu verleitet, mit Gift zu morden, da diese Form des Verbrechens zunächst eine unsichtbare ist. Sie wurde auch deshalb als typisch weiblich beschrieben, da sie keine Körperkraft erforderte und Frauen durch ihre Aufgaben im Haushalt der Zugang zu giftigen Substanzen leicht offen stand. Dieses besondere Darstellungsmuster spiegelte zugleich die männliche Angst wider, einem Giftmord zum Opfer zu fallen und resultierte in zahlreichen Verdächtigungen, die sich zwar größtenteils als haltlos erwiesen, die Frauen jedoch Zeit ihres Lebens mit dem Verdacht behafteten. 

Sonntag, 15. Februar 2015

Mord und Totschlag im Sachsenspiegel

‚Mord und Totschlag‘ ist noch heute innerhalb unserer Alltagssprache eine beliebte Paarformel. Dabei geht es aber häufig nicht im eigentlichen Sinne um die beiden Straftaten, sondern um die Beschreibung von Auseinandersetzungen, in denen vor der Anwendung grober Gewalt nicht zurückgeschreckt wurde. Zerlegt man die Paarformel nun in ihre Einzelteile, versteht man heute nach dem StGB unter Mord den Straftatbestand der Tötung aus niedrigen Beweggründen (Habgier, Mordlust etc.), während Totschlag definiert wird als das Töten eines Menschen ohne diese niedrigen Beweggründe (Notwehr, Affekt etc.).
Wie verhielt es sich aber mit Mord und Totschlag im Mittelalter? Wie definierte sich Mord, wie Totschlag und welche Strafen waren mit diesen Delikten verbunden? Dies sind Fragen, die dieser Artikel unter besonderer Zuhilfenahme des Sachsenspiegels beantworten möchte. Da es sich beim Sachsenspiegel, der zwischen 1225 und 1235 von Eike von Repgow verfasst wurde, um das erste Rechtsbuch in deutscher Sprache handelt, ist dieses eine unverzichtbare Quelle für die Beantwortung der gestellten Fragen.

Sonntag, 8. Februar 2015

Der Serienmörder Gilles de Rais

Am 26. Oktober 1440 wurde der Serienmörder Gilles de Rais gehängt, verbrannt und anschließend von vornehmen Damen seines Hauses bestattet. Laut Anklageakte soll de Rais "nicht nur zehn, auch nicht zwanzig, aber dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig, hundert" oder noch viel mehr Kinder getötet haben, meistens zusammen mit mehreren Komplizen – die genaue Anzahl wurde nie aufgeklärt. Gilles de Rais gab vor Gericht an, dass er und seine Komplizen die Kinder auf grausamste Art und Weise quälten: Sie köpften die Kinder, schlugen mit Stöcken auf sie ein, vergewaltigten sie und vergingen sich an den bewusstlosen, im Sterben liegenden oder bereits gestorbenen Mädchen und vorzugsweise Jungen. Anschließend wurden seine Opfer verbrannt. In der Anklagen wurde ihm Sodomie, Nekrophilie, Sadomasochismus und weitere Paraphilien sowie Häresie und Mord in mehr als hundert Fällen zur Last gelegt.
In diesem Artikel gehen wir auf die Suche nach den Gründen für Gilles de Rais‘ abnormales Verhalten und betrachten diesbezüglich verschiedene Erklärungsansätze. Außerdem sehen wir uns mit der Frage konfrontiert, ob de Rais diese Verbrechen tatsächlich begangen hat oder ob er Opfer eines ganzen Systems wurde, denn erst 1992 wurde er von einem Gericht in Frankreich für unschuldig befunden.

Sonntag, 1. Februar 2015

Bischofsmorde im 12. Jahrhundert – Thomas Becket und Arnold von Selenhofen



 (Martyrium Thomas Beckets in einer Darstellung aus dem Braunschweiger Dom um 1250, http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Becket#mediaviewer/File:Braunschweiger_Dom_Secco_Malereien_Becket.jpg)

Diese Darstellung aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zeigt einen Mord. Dies mag dem heute gängigen Bild vom „dunklen Mittelalter“, in dem Mord und Totschlag allgegenwärtig zu sein schienen, zwar entsprechen, aber dennoch erregte das dargestellte Verbrechen Aufsehen wie kaum ein anderes zu dieser Zeit. Betrachtet man das Wandgemälde genauer, kann man bereits erahnen, warum: So lassen die Bögen am oberen Bildrand, aber auch der Tisch auf der rechten Seite, bei dem es sich um einen Altar handelt, den Schluss zu, dass das Verbrechen in einer Kirche begangen wurde. Der Mann, der vor dem Altar kniet, trägt eine Mitra, die Kopfbedeckung, die auch heute noch von Bischöfen getragen wird. Es muss sich bei dem Opfer also um einen hohen kirchlichen Würdenträger handeln. Zudem umgibt ein Heiligenschein seinen Kopf, ein Zeichen für seine spätere Verehrung als Heiliger. Der Angreifer scheint recht vornehm gekleidet, außerdem ist er im Besitz eines Schwertes. Es handelt sich wohl um einen Ritter. Im Hintergrund ist außerdem angedeutet, dass dieser nicht alleine, sondern mit Unterstützern in die Kirche gekommen ist. In den Händen des Mannes auf der linken Seite ist ebenfalls ein Schwert zu erahnen. Die Malerei ist eine Darstellung des Mordes an Thomas Becket (1118‑1170), dem Erzbischof von Canterbury, im Jahre 1170. 

Sonntag, 25. Januar 2015

Wunderzeichen

Wie zu jeder anderen Zeit kam es auch in der Frühen Neuzeit gelegentlich zu unvorhergesehenen Naturereignissen und ungewöhnlichen Phänomenen, die aus dem Wissen der Zeit heraus nur schwerlich erklärt werden konnten. Seit dem 16. Jahrhundert jedoch entwickelte sich für all jene Geschehnisse ein Erklärungsansatz, der sich mehr und mehr verbreitete.

Die Rede ist von den sogenannten Wunderzeichen. Seinen Ursprung hat dieser Begriff in der römischen Antike, denn er entwickelte sich aus dem lateinischen Wort prodigium. Dieses beschrieb ungewöhnliche Ereignisse und deutete sie zumeist als ungünstige Vorzeichen und als einen Hinweis auf drohendes Unheil. Bereits in der Antike wurden diese Prodigien als von den Göttern gesandt gedeutet.

Vor allem im 16. Jahrhundert geriet die lateinische Bezeichnung in den Hintergrund und die Bezeichnung „Wunderzeichen“ für ungewöhnliche Vorkommnisse setzte sich im deutschsprachigen Raum durch. Eine Gemeinsamkeit all dieser Wunderzeichen war, dass sie sich nicht in den damals als gewöhnlich betrachteten Lauf der Natur einfügten. 

Sonntag, 18. Januar 2015

Das lange 10. Jahrhundert – Ein dunkles Zeitalter des Papsttums?

„In Rom war nämlich der Bischof des apostolischen Stuhles verschieden, Johannes mit Namen; dieser hatte schon früher von seinem Verwandten Gift erhalten, jetzt aber wurde er von demselben und zugleich anderen Genossen seiner Freveltat, da er ihrer Meinung nach noch länger leben würde als daß ihre Begierde hätte gestillt werden können, da sie sowohl seinen Schatz wie die Leitung des Bistums an sich zu reißen dürsteten, so lange mit einem Hammer geschlagen, bis dieser im Gehirn stecken blieb.“
(Annales Fuldenses, zitiert nach: Hebers, Klaus, Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt 2012, S. 97.)

So berichten die Fuldaer Annalen vom Tode Papst Johannes‘ VIII. im Jahre 882. Dieser Mord stand am Beginn des langen 10. Jahrhunderts für das Papsttum, für das sich seit dem 16. Jahrhundert die Bezeichnung von Caesare Baronio Saeculum Obscurum – das dunkle Jahrhundert – verbreitet hatte. Von einigen Historikern wird die Herrschaft in Rom zu Beginn dieses Zeitraumes bis etwa in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts hinein auch als „Pornokratie“ oder „Hurenregiment“ bezeichnet. Das Papsttum schien also zu dieser Zeit, wie an diesen negativen Bezeichnungen zu sehen ist, den moralischen Ansprüchen, die bis heute damit verknüpft sind, keinesfalls gerecht zu werden. Doch nicht nur der unmoralische Lebenswandel einiger Päpste veranlasste Caesare Baronio von einem Saeculum Obscurum zu sprechen, sondern auch der Mangel an schriftlich überlieferten Quellen für diese Zeit. In diesem Artikel soll es nun darum gehen, die für dieses Zeitalter prägenden Ereignisse nachzuzeichnen und den Ursachen auf den Grund zu gehen, die dazu führten, dass das Papsttum zu einer „Pornokratie“ verkam.