Sonntag, 4. Mai 2014

Flach wie eine Pizza? Das mittelalterliche Weltbild

Kolumbus ist als Entdecker zu bewundern. Schließlich hisste er die Segel gen Westen in dem Wissen, dass die Erde eine Scheibe sei und man jederzeit herunterfallen könne.

Auch heute noch hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass die Menschen des Mittelalters an dieses Weltbild glaubten. Fällen wir dabei nicht ein falsches Urteil? Schließlich hat der griechische Gelehrte Eratosthenes bereits um 240 v. Chr. den Erdumfang mit einer geringen prozentualen Abweichung ermitteln können. Das Wissen um eine Kugelgestalt war also bereits seit der Antike vorhanden. Nicht nur in der Literatur der römischen und griechischen Antike (Plinius d. Jüngere führt z.B. in seiner um 77 n. Chr. entstandenen Historia naturalis Beweise für eine Kugel auf, die im Mittelalter rezipiert wurde), sondern auch in der Bibel finden sich zahlreiche Stellen, die von einer Kugelform ausgehen. Beispielsweise findet sich bei Jer. 10,12 folgender Beleg: „Er hat aber die Erde durch seine Kraft gemacht und den Weltkreis bereitet durch seine Weisheit und den Himmel ausgebreitet durch seinen Verstand.“

Im Mittelalter traten prominente Gelehrte ebenfalls für dieses Weltbild ein, wie z.B.  Hildegard von Bingen († 17. September 1179), Thomas von Aquin († 7. März 1274) und Dante († 14. September 1321). Somit war dieses Weltbild im Gelehrtendiskurs über mehrere Jahrhunderte hinweg präsent. Dementsprechend war das Bild des Globus’ gängig. Visualisiert wird diese Vorstellung durch den Reichsapfel als Symbol der Erdkugel und durch erhaltene Karten und Globen (siehe Abbildungen unten). Die Karten sind jedoch nur zweidimensional und nicht als Weltkarte angelegt. Daher legen sie durch ihr Erscheinungsbild eine Scheibenform nahe. Jedoch sind sie stets mit Erläuterungen versehen, die die Kugelform ausdrücklich vorziehen. 

Reichsapfel. http://www.deutsche-staedte.de/heiliges-roemisches-reich/tools/reichsapfel.jpg
 
Neben dem 1492 im Auftrag des Nürnberger Rates geschaffenen sogenannten Erdapfel, einem der ersten Globen überhaupt, führte Kolumbus wohl auch das im Jahr 1410 verfasste Lehr- und Handbuch Imago Mundi (Bild der Welt) von Pierre d’ Ailly, was von einer Kugelgestalt ausgeht, bei seinen Entdeckungsfahrten mit sich. Die Angst, von der Erdscheibe herunterzufallen, wäre Kolumbus vermutlich absurd vorgekommen. 

Behaims Erdapfel. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b8/Behaims_Erdapfel.jpg
 
Der Geisteswelt des Mittelalters können wir diesen Irrglauben also nicht zuschreiben. Die falsche Annahme hat ihren Ursprung im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert. Der Intellektuelle Thomas Paine (1737–1809), einer der Gründerväter der USA, verbreitete die Vorstellung, dass im Mittelalter Verfechter der Kugelform nach dem Willen der Kirche auf dem Scheiterhaufen landeten. Diese Behauptung erfuhr eine große Verbreitung. Der französische Altertumswissenschaftler Jean Letronne (1787–1848) vertrat – ganz im Sinne Paines – die Meinung, dass die Mehrheit der Theologen das Scheibenmodell propagierte und alle Gegner dieser These auf den Scheiterhaufen brachten. Noch Andrew Dickson White (1832–1918), seines Zeichens Diplomat der USA, hing dem Irrtum an, dass Kolumbus und Magellan sich fürchteten, von der Erdscheibe zu fallen.

Die drei vorgestellten Gelehrten stellten ihre Thesen alle vor dem Hintergrund ihrer polemisch-antikirchlichen Haltung auf, was jeglicher Objektivität entbehrte. Erschreckenderweise finden sich solche Vorstellungen noch in Schulbüchern der letzten Jahrzehnte. Dadurch wird dieser Epoche auch im 20. und 21. Jahrhundert weiterhin unberechtigterweise Rückständigkeit quittiert und das Bild vom finsteren Mittelalter weiter zementiert.


Autor: Jan

2 Kommentare:

  1. Nachdem mir eure bisherigen Artikel echt gut gefallen haben, fehlt mir hier doch einiges.

    Zuerst wundert es mich, dass hier der Laktanz nicht erwähnt wird, der ja praktisch der einzige überhaupt ist, der jemals wirklich behauptet hat, dass die Erde flach sei.

    Desweiteren wundert mich die Aussage über die Bibel.

    Ich mag mich irren, aber ist ein Kreis nicht eigentlich flach? Müsste nicht von einer Kugel gesprochen werden, damit man die Form der Erde meint?

    Desweiteren gibt es in der Bibel auch genug Stellen, die gegen eine Kugelform der Erde sprechen,
    so z.B. Daniel 4:10 und Matthäus 4:8.


    Es ist aber wirklich erschreckend, wie weitverbreitet diese Ansicht noch ist, selbst unter Studenten, hängen viele dieser Ansicht nach, lassen sich aber meist bereitwillig aufklären.
    Als ich letztes Jahr ein Praktikum in einer Grundschule absolviert habe, habe ich genau diese Aussage auch auf der ersten Seite des Erdkundebuches gelesen. Als ich die Klassenlehrerin drauf angesprochen habe, sagte sie auch nur, dass halt nicht genügend Geld für neue Bücher da sei.


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    1. Danke für den Kommentar. Laktanz ist einer der wenigen, die an einer flachen Erdscheibe festhielten. Man könnte ihn in einem Atemzug mit dem spätantiken Schriftsteller Kosmas Indikopleustes nennen, der ebenfalls diese Ansicht vertrat. In der mittelalterlichen Geisteswelt fristeten ihre Positionen allerdings ein Schattendasein.
      Dass ein Kreis gewöhnlich mit einer flachen Form assoziiert wird, ist natürlich richtig. Allerdings lässt sich das hebräische Wort `cher` sowohl mit Kreis als auch mit Kugel wiedergeben. Somit besteht hier also ein gewisser Interpretationsspielraum, wie es bei einer Bibelexegese ja gängige Praxis ist. Beispielsweise vertrat Augustinus, ebenso wie Laktanz einer der Krchenväter, die Vorstellung einer Erdkugel. Bei Hiob 37,12 lässt sich noch eine weitere Aussage zu der Form der Erde finden: "Und dieses zieht ringsumher, wohin er es lenkt, wendet sich überall hin, um alles auszurichten, was er ihm befiehlt, auf dem ganzen Erdenrund".

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