Sonntag, 3. Februar 2019

William Marshal - Der größte aller Ritter: Teil 1 - Aufstieg in den königlichen Dienst

Abbildung von William Marshal in der Historia Major von Matthew Paris (um 1200-1259), https://commons.wikimedia.org/wiki/William_Marshal,_1st_Earl_of_Pembroke#/media/File:Matthew_Paris_-_William_Marshal.jpg

Diese Abbildung zeigt den anglonormannischen Ritter William Marshal (um 1147-1219), den schon mittelalterliche Chronisten als „größten aller Ritter” bezeichneten. Über sein Leben wissen wir heute vor allem das, was in der Histoire de Guillaume le Maréchal, einer Versbiografie, steht, die kurz nach seinem Tod basierend auf den Erinnerungen seines Knappen verfasst und erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Die Histoire beschreibt das außergewöhnliche Leben eines Mannes, dem es gelang, vom einfachen Ritter zum Vertrauten der englischen Könige aufzusteigen. Mit diesem bemerkenswerten Leben wollen wir uns in dieser kurz!-Reihe beschäftigen. Dabei soll es im ersten Teil um seine Kindheit und Jugend sowie schließlich den Aufstieg William Marshals zum Waffenlehrer König Heinrichs des Jüngeren (1155-1183) gehen.
William Marshal, wohl um 1147, mitten in den Wirren eines jahrelang andauernden Bürgerkrieges um die englische Thronfolge geboren (mehr über diesen Krieg, die sogenannte „Anarchy”, lest ihr hier), war das zweite Kind des anglonormannischen Adligen John FitzGilbert und dessen Frau Sibyll von Salisbury. Über die Kindheit William Marshals ist nur wenig bekannt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass er die ersten Jahre seines Lebens auf dem Sitz der Familie in Hamstead Marshall im südlichen England verbrachte. Wie viele seiner Standesgenossen versuchte auch sein Vater John, größtmögliche persönliche Vorteile in den Wirren der Auseinandersetzung des Bürgerkrieges zu erzielen. So stand er in dem tobenden Konflikt zunächst auf der Seite von Stephan von Blois (1092/96/97-1154), dem Neffen des verstorbenen Königs Heinrich I. (um 1068-1135). Dann wechselte er jedoch das Lager und unterstützte fortan dessen Tochter Matilda (1102-1167) bei ihrem Streben nach der englischen Krone, als sie die Oberhand zu gewinnen schien.

Nicht weit vom Sitz der Familie in Hamstead Marshall versuchte sein Vater John, der inzwischen auf der Seite von Matilda stand, seinen Machtbereich auszubauen, indem er im nahegelegenen Newbury eine weitere Festung errichtete. Dagegen ging König Stephan im Jahr 1152 mit aller Härte vor und belagerte die Burg. John selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort, doch als ihn die Nachricht von der Belagerung erreichte, handelte er einen Waffenstillstand und die Übergabe der Burg an den König aus. Als Sicherheit wurde sein zweiter Sohn William, der gerade um die fünf Jahre alt war, an Stephan und seine Männer übergeben. John konnte nun auf seine Burg zurückkehren, dachte aber nicht daran, zu kapitulieren. Wie die Histoire de Guillaume le Maréchal berichtet, rieten die Berater des Königs diesem, den Jungen zu erhängen, um den Vater zum Aufgeben zu bewegen. Als John von der drohenden Hinrichtung seines Sohnes erfuhr, soll er nur erwidert haben, „sein Kind sei ihm egal, denn er verfüge ja noch über Amboss und Hammer, um sogar noch bessere zu schmieden”. Ob John den Tod seines Sohnes tatsächlich so leichtfertig in Kauf genommen hätte, oder ob er darauf spekulierte, dass Stephan, der als milder Herrscher galt, nicht die Härte besitzen würde, ein Kind an den Galgen zu bringen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Als die Hinrichtung des jungen William unmittelbar bevorstand, änderte Stephan jedoch seine Meinung und spielte zunächst mit dem Gedanken, ihn als Wurfgeschoss für sein Katapult oder aber als menschliches Schutzschild für den nächsten Vorstoß auf die Burg zu verwenden. Der Histoire de Guillaume le Maréchal zufolge brachte der König es dann aber nicht über sich, ein unschuldiges Kind auf so grausame Weise hinzurichten. Dennoch blieb William einige Monate in Geiselhaft. Die Burg Newbury fiel, John musste fliehen und sein Sohn durfte erst nach dem Friedensschluss zwischen Matilda und Stephan 1153 zu seiner Familie zurückkehren. 

Anschließend wurde er zur Ausbildung nach Tancarville in der Normandie geschickt, wo er neben dem Schwertkampf auch das Reiten und den Kampf mit anderen Waffen wie dem Dolch, der Axt und der Lanze erlernte. Mit etwa 20 Jahren erhielt er schließlich 1166 die Schwertleite, ein Ritual, das das Ende seiner Ausbildungszeit und den Beginn seines Lebens als Ritter symbolisierte. Unmittelbar darauf folgte sein erster Kriegseinsatz im Gefolge des Grafen von Tancarville bei Grenzstreitigkeiten in der Normandie. Schenkt man der Histoire Glauben, so konnte der junge Guillaume es kaum erwarten, sich ins Kampfgeschehen zu stürzen. Er tat sich durch seinen Mut und Eifer positiv hervor, verlor jedoch sein wertvolles Pferd und machte keinerlei Kriegsbeute. Da der Konflikt bald vorbei war, wurde er nun ohne Schlachtross und weitestgehend mittellos aus dem Dienst des Herrn von Tancarville entlassen. Doch anstatt auf die Güter seiner Familie nach England zurückzukehren und seinen Bruder, der inzwischen das Erbe des verstorbenen Vaters angetreten hatte, um finanzielle Hilfe zu bitten, blieb der junge, mittellose Ritter auf dem Kontinent und fand bald eine gewinnbringende Betätigung.

Wie die Histoire berichtet, erfuhr William bald von einem Turnier, das nördlich von Le Mans stattfinden sollte und an dem „jeder Mann auf der Suche nach Ruhm und Ehre“ teilnehmen könne, sofern er über die nötigen Mittel verfüge. Das Problem, dass er nach wie vor kein geeignetes Pferd besaß, blieb jedoch zunächst ungelöst. Deshalb schloss er sich wieder dem Herrn von Tancarville an, der mit einer Gruppe von 40 Rittern nach Le Mans zog und ihm ein Pferd zur Verfügung stellte. William sah in der Teilnahme an dem Turnier seine einzige Chance, Ruhm und finanzielle Mittel zu erwerben, auch wenn diese mit einem erheblichen Risiko verbunden war: Es bestand nicht nur die Gefahr, sich im Falle einer Niederlage zu verschulden. Auch wurde bei diesen Wettkämpen mit scharfen Waffen gekämpft, sodass schwere Verletzungen oder sogar der Tod von Rittern keine Seltenheit waren. Das heutzutage gängige Bild des mittelalterlichen Turniers, bei dem sich die Wettkämpfer im Tjosten, also der Auseinandersetzung mit der Lanze zu Pferd, messen, trifft für das 12. Jahrhundert noch nicht zu. Diese Form kam erst gut 100 Jahre später auf. Vielmehr waren Turniere zu Williams Zeit eine Art Kriegsspiel, bei dem Ritter in Teams mit Waffen aufeinander trafen. Dabei versuchten die Teilnehmer, Waffen, Rüstungen und Pferde zu erbeuten, aber auch Gefangene zu machen, um später Lösegeld für deren Freilassung erpressen zu können. Es ging also nicht bloß um Ruhm und Ehre, sondern auch um materielle Bereicherung. Bei seinem ersten Turnier gelang es ihm, „zwei sehr wertvolle Gefangene“ zu machen und so war er am Abend nach dem Wettkampf Besitzer von vier Streitrossen, einigen Reitpferden, Packtieren und weiterer Beute. Von nun an sollte die Teilnahme an Turnieren ein entscheidender Teil seines Lebens werden und nicht nur seinen finanziellen sondern auch seinen gesellschaftlichen Aufstieg vorantreiben.

Die folgenden beiden Jahre verbrachte William Marshal nun damit, von einem Turnier zum nächsten zu ziehen. Formal gesehen tat er dies zwar nach wie vor im Gefolge des Grafen von Tancarville, doch agierte er zunehmend als sein eigener Herr. Dabei feierte er nicht nur Erfolge ,sondern geriet selbst das eine oder andere Mal in brenzlige und bedrohliche Situationen. Insgesamt war er jedoch ein erfolgreicher Turnierritter und schenkt man der Histoire Glauben, so breitete sich sein Ruhm in Frankreich aus. 1168 kehrte er dem Turnierkampf zunächst den Rücken und kam als wohlhabender und angesehener Mann nach England zurück, um nun endlich wieder richtige Kriegserfahrung zu sammeln. Hier schloss er sich dem Gefolge seines wohlhabenden Onkels, Patrick, Earl von Salisbury, an und nahm an dessen Feldzügen teil, wo er an der Seite König Heinrichs II. (1133-1189) kämpfte. Dieser war der Sohn von Matilda und Gottfried von Anjou (1113-1151) und seinem Onkel Stephan nach dessen Tod im Jahr 1154 nachgefolgt. Er herrschte nun über England und weite Gebiete des heutigen Frankreichs. In Aquitanien, dem Königreich seiner Frau Eleonore (mehr über sie könnt ihr hier erfahren) waren Aufstände ausgebrochen, die es nun niederzuschlagen galt.

Dort erfuhr William Marshal nun also, was es bedeutete wirklich Krieg zu führen: Bei Ausfällen ins Land der Aufständischen richteten Heinrichs Ritter Verwüstungen an, plünderten Siedlungen und verbrannten Ernten und so konnte die Rebellion innerhalb eines Monats niedergeschlagen werden. Eleonore selbst ließ sich nun in ihrem Reich nieder um weitere Aufstände zu vermeiden. Patrick, Earl von Salisbury blieb als Lieutenant an ihrer Seite – und damit auch der junge William. Bei einem Umritt durch die rebellierenden Gebiete geriet die Königin jedoch samt Gefolge in einen Hinterhalt, konnte aber dank des beherzten Einsatzes ihrer Ritter entkommen. Patrick von Salisbury überlebte das Scharmützel nicht. Die Histoire beschreibt ausführlich, wie William, vom Tod seines Onkels angetrieben, „wie ein Eber vor einer Wolfsmeute“ gegen die Überzahl von Angreifern ankämpfte. Schließlich wurde er jedoch schwer verwundet und gefangen genommen. Weder er selbst noch die Rebellen erwarteten, dass irgendwer bereit sein würde, ein Lösegeld für seine Freilassung zu zahlen, war er doch nur ein Ritter im Gefolge eines toten Grafen. Doch nach Monaten der Gefangenschaft erreichte ihn schließlich die Nachricht, dass Eleonore selbst ihn freikaufen würde. Ihre Beweggründe bleiben im Dunkeln.

Nach seiner Freilassung und der vollständigen Genesung von seinen Verletzungen erhielt William Marshal einen Platz im Gefolge der Königin und wurde mit teurer Kleidung und guter Ausrüstung ausgestattet. In den folgenden Jahren machte er sich einen Namen als mutiger und treuer Krieger und stieg in der Gunst der Königsfamilie. 1170 kehrte Eleonore schließlich nach England zurück, um der Krönung ihres Sohnes, des 15-jährigen Heinrich des Jüngeren (1155-1183), beizuwohnen. Da König Heinrich II. selbst anschließend nach Frankreich aufbrechen wollte, benannte er Vertraute als Ratgeber für seinen Sohn, der in seiner Abwesenheit England regieren sollte. Auch William Marshal wurde in diese Riege aufgenommen, um diesem als Kampf- und Waffenlehrer zu dienen. 

Damit hatte er innerhalb weniger Jahre den Aufstieg vom armen, unbedeutenden Ritter zum bedeutenden Mitglied des königlichen Hofes geschafft. Seine Stellung sollte er in den kommenden Jahren noch ausbauen und insgesamt fünf englischen Königen dienen. Damit wird sich der nächste Teil dieser kurz!-Reihe beschäftigen.

Zum Weiterlesen:

Asbridge, Thomas, Der Größte Aller Ritter und die Welt des Mittelalters, Stuttgart 2015.
Duby, Georges, Guillaume le Maréchal oder der beste aller Ritter, Frankfurt am Main 1986.

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