In
der Frühen Neuzeit gab es an einigen europäischen Höfen das offizielle Amt des
Hofzwerges, das kleinwüchsige Menschen – Männer und Frauen – innehaben konnten.
Herrscher schmückten sich häufig mit ihnen, da diesen auf der einen Seite
besondere Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Auch galten sie als Glücksbringer,
weshalb Adelige sie gerne in ihrer Nähe wussten. Auf der anderen Seite umgab
Kleinwüchsige aber vor allem der Reiz des Skurrilen und Exotischen, weshalb sie
an den Höfen wie Sammelobjekte und Besitztümer der Herrschenden behandelt
wurden. Es galt als ein Zeichen von Reichtum und Macht, wenn Regierende ungewöhnlich
gestaltete Menschen zu ihrem Hofstaat zählen konnten. In diesem kurz!-Artikel
soll darum mit Nicolas Ferry (1741-1764), dem Hofzwerg des polnischen Königs Stanislaus
I. Leszczyński (1677-1766), eines der bekanntesten Beispiele vorgestellt werden.
Gemälde
von Nicolas Ferry mit einem Bild des polnischen Königs, unbekannter Maler, 18.
Jahrhundert
https://en.wikipedia.org/wiki/Nicolas_Ferry#/media/File:Nicolas_Ferry_-_NEAPOLITAN_SCHOOL.jpg
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Nicolas
Ferry wurde am 14. Oktober 1741 in der kleinen französischen Ortschaft
Champenay als erstes Kind eines Landwirts und seiner Frau geboren. Bei seiner
Geburt wog er gerade einmal 625 Gramm bei einer Körpergröße von 21 Zentimetern.
Aufgrund dieser Maße finden sich in manchen späteren Beschreibungen über sein
Leben Hinweise darauf, dass er bereits nach sieben Monaten zur Welt gekommen
sein könnte. Andere Texte betonen hingegen, dass die Schwangerschaft der Mutter
ganz regulär zu Ende gegangen sei. Obwohl niemand so richtig daran glaubte,
dass dieses winzige Kind überleben könnte, gelang es seiner Mutter Anne Baron
mit einem großen Maß an Einfallsreichtum für ihren Sohn zu sorgen. So soll sie
einen Holzschuh zur Wiege umfunktioniert und eine besonders kleine Flasche
erfunden haben, die in den kleinen Mund des Kindes passte. Es gelang ihr, ihren
besonderen Sohn aufzuziehen, der sich trotz seiner geringen Körpergröße auch
zunächst normal zu entwickeln schien. So konnte er schon bald sprechen und
laufen.
Nicht
verhindern konnte sie jedoch, dass sich Nicolas mehr und mehr zu einer
Attraktion im Dorf und in der Umgebung entwickelte. Die Berichte über seinen
Kleinwuchs zogen bald so weite Kreise, dass fünf Jahre nach seiner Geburt
einige Hofdamen des polnischen Königs Stanislaus I. Leszczyński der Familie
Ferry einen Besuch abstatteten, um einen Blick auf das besondere Kind zu
werfen. Da die Tochter Stanislaus‘ mit dem französischen König Ludwig XV.
(1710-1774) verheiratet war, waren ihm als Vater der Königin von Frankreich die
Herzogtümer Lothringen und Bar übertragen worden. Aus diesem Grund residierte
er mit seinem Hofstaat auf Schloss Lunéville und somit in der Nähe der Familie
Ferry. Überaus begeistert kehrten die Hofdamen zum König zurück und berichteten
ihm von ihren Erlebnissen mit dem Kind. Stanislaus, der die Möglichkeit der
Aufwertung seiner Hofgesellschaft durch einen Hofzwerg witterte, entsandte den
Arzt Monsieur Kast nach Champenay, um Nicolas untersuchen zu lassen. Dieser
konnte außer der kleinen Körpergröße – Nicolas war zu diesem Zeitpunkt circa 60
Zentimeter groß – keine weiteren Auffälligkeiten feststellen, sondern er
berichtete dem König vielmehr von einem hübschen und für seine Körpergröße wohl
proportionierten kleinen Jungen. Aufgrund dieses positiven Resultats beschloss
der König, Nicolas an seinen Hof zu bringen und ihn dort erziehen zu lassen.
Die Eltern Ferry mussten sich diesem königlichen Befehl, der die dauerhafte
Trennung von ihrem Sohn bedeutete, Folge leisten.
Stanislaus
betrachtete den Hofzwerg von nun an als sein Eigenturm, was dadurch ersichtlich
wird, dass er Nicolas bereits 1747 seiner Ehefrau Katharina Opalińska zum
Geburtstag „schenkte“. Diese wiederum „verschenkte“ das Bébé, wie sie
ihn von nun an nannte, noch im gleichen Jahr an ihre Cousine, eine Prinzessin
de Talmont. Die angestrebte Ausbildung Ferrys auf Schloss Lunéville erwies sich
allerdings als schwierig. Zwar lernte er den höfischen Sitten entsprechend auf
Französisch zu kommunizieren und zu tanzen, er war aber nicht in der Lage, zu lesen
und zu schreiben. Der König, der seinen Hofzwerg trotz wechselnder
„Besitzverhältnisse“ weiterhin beaufsichtigte, stattete diesen mit wertvoller
Kleidung aus und er ließ zahlreiche Dinge neu anfertigen, so dass Nicolas sie
auch mit seiner geringen Körpergröße angemessen benutzen konnte. Dazu gehörten
beispielsweise ein Wagen und ein kleines Haus, das in einen Saal des Schlosses
gebaut wurde.
Mehr
und mehr zeigten sich bei Nicolas jedoch Auffälligkeiten im Verhalten, vor
allem, wenn er den Eindruck hatte, nicht genügend Aufmerksamkeit zu bekommen.
Zwar akzeptierte der König dessen immer bösartiger werdende Streiche zunächst,
da diese die Rolle von Hofzwerg und Hofnarr miteinander verbanden. Allerdings
spitzte sich die Situation zu, als Ferry einen Hund der Prinzessin de Talmont
aus dem Fenster warf und einen Rivalen um die Position des Hofzwergs versuchte
ins Feuer zu stoßen. Dieser Rivale – Józef Boruwłaski (1739-1839) genannt Joujou – war 1759 neu an den Hof
gekommen und zu diesem Zeitpunkt nicht nur noch kleiner als Nicolas Ferry, der
mittlerweile 89 Zentimeter maß, sondern auch für seinen Humor und seine
Intelligenz bekannt. Zum ersten Mal wurde Ferry daraufhin für sein Verhalten
körperlich bestraft. Dieser missglückte Anschlag auf das Leben Boruwłaskis hatte
jedoch zur Folge, dass dieser Schloss Lunéville schnell wieder verließ und im
Anschluss durch halb Europa reiste, wo er seine geringe Körpergröße von abschließend
nur 99 Zentimetern zur Schau stellte und damit ein Vermögen verdiente. Berichte
über den „Kampf der Zwerge“ machten schon bald die Runde und zahlreiche Mediziner
versuchten, die beiden in Bezug auf Körpergröße und Geisteszustand miteinander
zu vergleichen.
Porträt
des Rivalen Józef Boruwłaski
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fc/Joseph_Boruwlaski.jpg
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Zur
ungefähr gleichen Zeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand Ferrys rapide
und es setzte ein unaufhaltbarer Alterungsprozess ein. Sein Körper bildete
einen Buckel aus, er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und er verlor
all seine Zähne. Die Ärzte, die ihn konsultierten, waren zumeist ratlos und
vermuteten einen Zusammenhang zwischen seinem Kleinwuchs und den einsetzenden
pubertären Veränderungen des Körpers. Ferry magerte zusehends ab und war ab
1762 nicht mehr in der Lage aufzustehen. Schließlich starb er am 8. Juni 1764
im Alter von nur 22 Jahren.
Der
Tod „seines“ Zwerges machte König Stanislaus schwer zu schaffen. Auf Drängen
der Ärzte stimmte er aber schließlich einer Obduktion des Körpers zu, nachdem
die Ärzte ihm versprochen hatten, im Anschluss das Skelett Ferrys zu
präparieren und ihm wiederzubringen. Der Hofarzt sowie drei weitere Ärzte kamen
bei der Autopsie abschließend zu dem Ergebnis, dass das Skelett Ferrys von
Skoliose befallen gewesen wäre und er außerdem einen Tumor im Gehirn gehabt
hätte. Seine weiteren Organe wären jedoch gesund gewesen. Stanislaus erhielt
tatsächlich die Knochen Ferrys zurück, jedoch ungeordnet in einer Schachtel verpackt.
Den Rest des Körpers ließ er feierlich bestatten.
Nach
dem Tod des Königs im Jahr 1766 gelangte das Skelett nach Paris, wo es mehrfach
untersucht und immer neue Diagnosen und vermeintliche Ursachen für den
Kleinwuchs Ferrys entwickelt wurden. Der bekannte französische Naturforscher Georges-Louis
Leclerc, Comte de Buffon (1707-1788), diagnostizierte beispielsweise eine
besondere Form der Arthritis und er bemerkte außerdem, dass einige Knochen des
Skeletts fehlten. Als Buffon schließlich den Auftrag erhielt, das Skelett
wieder vollständig zusammenzubauen, musste er auf fremde Kinderknochen
ausweichen. Weitere zeitgenössische und spätere Diagnosen reichten von Rachitis
über eine angeborene Syphilis bis hin zum sogenannten Seckel-Syndrom, welches
mit einer sehr stark ausgeprägten Form von Kleinwuchs einhergeht. Im Jahr 2000
vermutete der schwedische Arzt Jan Bodeson, dass Ferry unter Progerie litt,
einer Krankheit, die einen überschnellen Alterungsprozess in Gang setzt.
Heute
befinden sich die sterblichen Überreste Ferrys im Musée du Château du
Lunéville, sein Skelett im Musée de l’Homme in Paris. Mehrere Museen in
Frankreich verwahren zudem Teile der extra angefertigten Kleidung Ferrys sowie
ihn zeigende Gemälde in ihren Beständen. Außerdem gibt es häufig aus Wachs
angefertigte Nachbildungen Ferrys, die in Deutschland unter anderem im Hessischen
Landesmuseum in Kassel und im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig
betrachtet werden können.
Zum Weiterlesen:
Adelson, Betty M.: The Lives of Dwarfs. Their Journey
from Public Curiosity toward Social Liberation, New Brunswick 2005.
Bondeson, Jan: The Two-headed Boy, and Other Medical
Marvels, Ithaca 2000.
Petrat,
Gerhardt: Die letzten Narren und Zwerge bei Hofe. Reflexionen zu Herrschaft und
Moral der Frühen Neuzeit, Bochum 1998.
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