Am
6. Juli 1510 wurden in Berlin 38 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt,
nachdem man sie wegen Hostienfrevels und Kindsmords zum Tode verurteilt hatte.
Darüber hinaus zog die Verurteilung die Vertreibung aller Juden aus der Mark
Brandenburg, einem Territorium im Heiligen Römischen Reich, nach sich. Dieses
Ereignis wurde als Berliner Hostienschänderprozess bekannt und soll in diesem
Artikel zusammen mit seinen Folgen näher beleuchtet werden.
Im
Vorfeld der Ereignisse im Jahr 1510 hatte in und um Berlin, durch fürstliches
Privileg geschützt, ein eigenständiges jüdisches Leben und ein weitgehend
friedliches Zusammenleben von jüdischen und christlichen Bewohnern
stattgefunden. Am 6. Februar 1510 erfolgten jedoch der Diebstahl einer
vergoldeten Monstranz und die Entwendung zweier in einer wertvollen Dose
aufbewahrter geweihter Hostien aus einer Kirche in Knoblauch, einem heute nicht
mehr existierenden Ort im Westen von Brandenburg. Für den Diebstahl wurde schon
bald der aus Bernau bei Berlin stammende verarmte Kesselflicker und Christ Paul
Fromm verantwortlich gemacht. Nach seiner Verhaftung im Juni desselben Jahres
gestand dieser unter Folter, die Hostien an einen Spandauer Juden namens
Salomon verkauft zu haben. Ausgehend von dieser Beschuldigung wurde der
Verdacht auf nahezu 100 männliche Juden aus der Mark Brandenburg ausgeweitet,
die im Zuge des anstehenden Prozesses nach Berlin gebracht wurden. Der Vorwurf
bestand nicht nur in dem Ankauf der gestohlenen geweihten Hostien, sondern er
wurde auf Hostienschändung ausgeweitet, da man vermutete, die angeklagten Juden
hätten versucht, die geweihten Hostien zu schänden und zu zerstören. Darüber
hinaus wurde der Verdacht schon bald um den Vorwurf der Folter und Ermordung
sieben christlicher Kinder ergänzt, um noch mehr Juden anklagen zu können. Zwei
seit Jahrhunderten bekannte Muster der Judenverfolgung wurden hier aufgegriffen:
Zum einen die Ritualmordlegende, nach der Juden christliche Kinder töten
würden, da sie deren Blut zur Herstellung ihrer Mazzen (dünne Brotfladen aus
ungesäuertem Teig) oder für magische Praktiken benötigten und zum anderen, dass
die Juden als vermeintliche Gottesmörder vermehrt geweihte Hostien schänden
würden, da diese den Leib Christi symbolisieren.
Schließlich
wurden 51 Juden angeklagt und unter Folter von einem Teil dieser Gruppe –
darunter die reichsten Bewohner der Stadt – Geständnisse erpresst, die als
Legitimation der späteren Urteile dienten. Zum späteren Zeitpunkt der
Urteilsverkündung waren von den 51 Angeklagten nur noch 41 am Leben.
Vermutungen zufolge hatten zehn die Folter nicht überlebt oder sich selbst das
Leben genommen. Der abschließende Richterspruch lautete, wie der Allgemeinen
preußischen Staats-Geschichte zu entnehmen ist, folgendermaßen: „darumb so sollte man sie [d. h. die Juden]
zu Pulver verbrennen, damit alle andere ein Beyspiel und Exempel von ihnen
nehmen möchten, daß sie solche und dergleichen Uebelthat auch nicht begehen
möchten.“ Letztlich wurden
38 Juden zum Feuertod verurteilt, drei der Angeklagten entschieden sich zur
Taufe, wodurch sie mildere Strafen zu erwarten hatten. Anfang Juli 1510 kam es
vor den Toren der Stadt zur Vollstreckung der Urteile. Augenzeugen berichten,
dass zahlreiche Bewohner der Stadt und Auswärtige der Hinrichtung beiwohnten
und die verurteilten mit weißen und gelben Hüten versehenen Juden im Angesicht
des Todes gemeinsam beteten und „mit
großer bestendigkeyt den todt gelitten, den pawvelligen Christenn zcu sundern
erschrecken.“ Auf einem dreistöckigen sechs Meter hohen Scheiterhaufen, an
dessen Errichtung sich neben dem Scharfrichter und seinen Gehilfen auch die
Schaulustigen freiwillig beteiligt hatten, wurden die 38 Juden schließlich verbrannt.
Von den drei mittlerweile getauften Angeklagten wurden zwei einen Tag später mit
dem Schwert enthauptet und einer – ein renommierter Mediziner – heimlich
begnadigt. Der ebenfalls angeklagte Dieb Paul Fromm war zunächst halbnackt auf
einem Wagen durch Berlin geführt worden, wobei er durch glühende Zangen
malträtiert worden war, bevor auch er auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Der nicht zum Tode verurteilte Teil der im Vorfeld verhafteten Juden – circa 60
Personen – wurde unter Eid gezwungen, noch im Verlauf des Jahres 1510 die Mark
Brandenburg für immer zu verlassen.
Der errichtete
Scheiterhaufen für die Juden, Holzschnitt 1511.
http://www.jg-berlin.org/typo3temp/GB/a4f39b5cd3.jpg
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Schließlich wurde der Vorfall sogar dazu instrumentalisiert, alle in der Mark Brandenburg wohnhaften Personen jüdischen Glaubens noch im selben Jahr auszuweisen. Schätzungen zufolge lebten zu diesem Zeitpunkt bis zu 500 Juden in der entsprechenden Region. Für die Jahre 1511 bis 1535 finden sich dann keine Hinweise mehr auf jüdisches Leben in der Mark. Für einen Teil der nichtjüdischen Bewohner des Gebiets erwies sich die Ausweisung der Juden als äußerst vorteilhaft, da sie nun ihre Schulden, die sie bei jüdischen Geldverleihern gemacht hatten, nicht mehr begleichen mussten. Durch ein früher verliehenes Privileg verfügten Juden im Gegensatz zu Christen nämlich über das Recht, Geld zu verleihen und Zinsen zu fordern. Durch steigende Schulden waren in diesem Zusammenhang bereits 1503 – also sieben Jahre vor dem Berliner Hostienschänderprozess – erste Forderungen gegenüber dem Kurfürsten laut geworden, die Juden aus der Region auszuweisen. Joachim I. von Brandenburg (1484-1535), Kurfürst seit 1499, war dieser Forderung jedoch nicht nachgekommen, sondern hatte im Gegenteil 1509 noch für Juden ausgestellte Schutzbriefe verlängert.
Nach
der erfolgten Ausweisung in den Jahren 1510 und 1511 sollte es jedoch bis 1543
dauern, dass sich Juden unter der Herrschaft des neuen Kurfürsten Joachim II.
von Brandenburg (1505-1571) wieder in der Mark Brandenburg ansiedeln durften.
Auf Joachim II. folgte dessen Sohn Johann Georg (1525-1598), der von seinem
Vater 2,5 Millionen Gulden Schulden „geerbt hatte“. Aus diesem Grund gerieten
erneut jüdische Gläubiger in den Fokus des Interesses und sie sahen sich
vermehrt Gewalttaten ausgesetzt. Johann Georg erhöhte Steuern und Zwangsabgaben
insbesondere für Juden und entschied sich schließlich dafür, eine erneute
Vertreibung zu veranlassen. Bis zum 1. Februar 1573 sollten keine Juden mehr in
der Mark Brandenburg ansässig sein. Außerdem verfügte der Kurfürst, dass die
Juden nicht nur ohne ihr Vermögen auszureisen hätten, sondern dieses auf ihn
übertragen müssten. Die meisten der vertriebenen und verarmten Juden fanden
schließlich in Prag, Böhmen und Polen eine neue Heimat. Erst 1671 durften sich
schließlich durch ein Edikt des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688)
wieder Juden in Brandenburg ansiedeln.
Heute
ist bekannt, dass sich der Dieb Paul Fromm die Anschuldigungen nur ausgedacht
hatte. Dies gestand er im Rahmen seiner letzten Beichte, die ihm von keinem
geringeren als Philipp Melanchthon (1487-1560) – neben Martin Luther einem der
wichtigsten Reformatoren – abgenommen worden war. Melanchthon berichtete 1539
auf dem Fürstentag in Frankfurt in Anwesenheit von Kurfürst Joachim II. von dem
ihm gegenüber gemachten Geständnis und machte deutlich, dass „die armen juden bei seines vaters seligen
leben zu unrecht verbrannt worden [seien]“. Somit konnte der Berliner
Hostienschänderprozess nachträglich als Justizirrtum entlarvt werden. Womöglich
motivierten diese neuen Erkenntnisse den Kurfürsten schließlich dazu, unter
seiner Herrschaft eine neue Ansiedlung zu erlauben.
Zum
Weiterlesen:
Karl
Friedrich Pauli: Allgemeine preußische Staats-Geschichte: samt aller dazu
gehörigen Königreichs, Churfürstenthums, Herzogthümer, Fürstenthümer, Graf- und
Herrschaften aus bewährten Schriftstellern und Urkunden bis auf gegenwärtige
Regierung, Halle 1769.
Backhaus,
Fritz: Die Hostienschändungsprozesse von Sternberg (1492) und Berlin (1510) und
die Ausweisung der Juden aus Mecklenburg und der Mark Brandenburg, in: Jahrbuch
für Brandenburgische Landesgeschichte 39 (1988), S. 7-26.
Kurze,
Dietrich: Der Berliner Prozess und die Vertreibung der Juden aus der Mark
Brandenburg im Jahr 1510, in: Bär von Berlin 59 (2010), S. 25-53.
Theissen,
Andrea (Hg.): Das Verhängnis der Mark Brandenburg. Der Berliner Hostienschändungsprozess
von 1510. Dokumentation der Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums im
Zeughaus der Zitadelle Spandau 2010, Berlin 2010.
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