Sonntag, 18. September 2016

Ambroise Paré – Wegbereiter der modernen Chirurgie

In der Geschichte waren es häufig Zufälle oder unübliche Vorgehensweisen in Krisen- und Notsituationen, die Entdeckungen und Fortschritte im Bereich der Medizin nach sich zogen. In unserem heutigen Artikel soll es um den französischen Chirurgen Ambroise Paré (um 1510-1590) gehen, der – auf den Schlachtfeldern seiner Zeit tätig – zahlreiche medizinische Methoden revolutionierte, neue chirurgische Instrumente erfand und durch sein Können und seine Einfälle schließlich zum Hofchirurgen mehrerer Könige aufstieg.

Ambroise Paré, Porträt aus Deux livres de chirurgie (1573)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c7/Ambroise_Par%C3%A9_1573.jpg


Ambroise Paré wurde um 1510 im kleinen Ort Bourg-Hersent geboren, der heute zur westfranzösischen Stadt Laval im Département Mayenne gehört. Hier arbeitete er zunächst als Küchenjunge, dann als Gehilfe des ortsansässigen Barbiers, später wiederum als Gehilfe bei einem Barbier in Angers und schließlich in Vitré bei seinem Bruder, der dort bereits als barbier-chirurgien tätig war. Im Jahr 1533 ging Paré schließlich nach Paris, um dort bis 1536 im Hôtel de Dieu, dem ältesten und einzigen Hospital Paris’, eine Ausbildung zum barbier-chirurgien-Gesellen zu machen und seine anatomischen Kenntnisse zu erweitern. Der im deutschen Sprachgebrauch nicht verwendete Begriff barbier-chirurgien bezeichnete vermutlich eine Erweiterung des Barbier- oder Bader-Berufes. Zu deren Aufgaben zählte die medizinische Versorgung armer und kranker Leute oder die Unterstützung akademisch gebildeter Ärzte. Neben der Körperpflege widmeten sich die Bader und Barbiere in Ansätzen der Chirurgie, der Zahnmedizin sowie der Augenheilkunde. Auch behandelten sie offene Wunden und führten den Aderlass durch. Ihre Tätigkeit wurde dabei wissenschaftlich nicht anerkannt, weshalb sie in manchen Städten zu den unehrlichen Berufen gezählt wurden und Bader beispielsweise keine Zunft gründen durften.        
            
Nach dem Abschluss seiner Ausbildung wurde Paré von Baron und Generalleutnant der Infanterie René de Montjean in Dienst genommen, der ihn mit nach Italien nahm, wo 1537 der achte Italienkrieg zwischen Frankreich und Italien tobte. In diesem Zusammenhang besuchte Paré erstmals Schlachtfelder, beobachtete die Arten der Verletzungen und half selbst, Verwundete zu behandeln. 

Kriegsverletzungen, festgehalten in seinen Opera Chirurgica (1594)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3b/Wounds_Man.jpg

Dabei konnte er durchsetzen, dass Schussverletzungen nicht mehr äußerst schmerzhaft mit siedendem Öl oder einem glühenden Eisen kauterisiert, das heißt durch Hitze oder Chemikalien zerstört oder verätzt wurden, da er bewies, dass die eingetretene Kugel und Reste von Schießpulver den Verletzten nicht – wie zuvor angenommen – von innen vergifteten. Stattdessen entwickelte er ein Gemisch aus Terpentin, Rosenöl und Eigelb zum Spülen der Wunde, welches außerdem den Heilungsprozess förderte. Als de Montjean 1537 starb, ging Paré nach Paris zurück, wo er um 1540 die Meisterprüfung zum maître barbier-chirurgien ablegte und sich 1541 vermählte.

Die folgenden Jahre verbrachte Paré dann in wechselnden Dienstverhältnissen bei hochrangigen Persönlichkeiten, wie dem Vicomte René de Rohan, an verschiedenen europäischen Kriegsschauplätzen, beispielsweise in Spanien, in der Bretagne und in Metz, wo er sich vor allem um die medizinische Versorgung im Kampf verletzter Soldaten kümmerte und neue Techniken erproben konnte. Im Gefolge der französischen Armee erlebte er aber auch Belagerungen und geriet 1553 sogar einmal kurz in Gefangenschaft. Zu seinen medizinischen Erkenntnissen der Zeit zählte unter anderem die Feststellung, dass sich eine Kugel leichter aus dem menschlichen Körper entfernen lasse, wenn man diesen zurück in die Position bringe, in der er sich befunden hatte, als die Kugel eintrat. Weiterhin wurde er mit vielen Kriegsverletzungen konfrontiert, die eine Amputation notwendig machten, um das Überleben der Verletzten zu sichern. Paré verhalf der Methode der Ligatur zum Durchbruch, die zwar schon Jahrhunderte zuvor beschrieben und wohl auch durchgeführt worden war, sich gegenüber der Kauterisation aber nicht hatte durchsetzen können. Nun jedoch wurden bei Gefäßverletzungen und nötigen Amputationen die Arterien zumeist mit einem Faden verschlossen und so das Verbluten des Verletzten verhindert. Darüber hinaus entwickelte Paré zuvor nie dagewesene – zum Teil auch bewegliche – Prothesen, die ein ihm bekannter Schmied nach seinen Zeichnungen anfertigte. In seinen Entwürfen finden sich zum Beispiel Überlegungen für künstliche Nasen aus Metall, Ersatzzähne aus Elfenbein, Korsetts zur Behandlung von Rückgratverkrümmungen sowie künstliche Hände und Beine.

Entwurf einer künstlichen Hand von Paré (1585)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4e/Pare_artificial_hand.jpg?uselang=fr

Entwurf einer Beinprothese von Paré (1575)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/32/Views_of_a_prosthetic_leg_in_1575.jpg


Aufgrund seiner Erfolge konnte Paré mit der Zeit ein gewisses Renommee für sich beanspruchen, da viele seiner Patienten überlebten und genasen, obwohl sie im Vorfeld schwerste Verletzungen erlitten hatten. Deshalb ließen sich nun auch vermehrt Generäle von ihm behandeln, obwohl er über keine akademische Ausbildung verfügte. Er selbst handelte dabei stets nach dem bescheidenen Motto „Je le pansay, Dieu le guarist.“ („Ich verbinde ihn, Gott heilt ihn.“).

Ab 1552 stand er bei Antoine de Bourbon (1518-1562) in Dienst, der als Herzog von Vendôme und erster Prinz von Geblüt vermutlich auch den Kontakt zum französischen König Heinrich II. (1519-1559) herstellte. Denn noch im gleichen Jahr wurde Paré von diesem zum Chirurgen des Königs (chirurgien du roi) ernannt, wodurch er nun auch für die Behandlung des höchsten Mannes im Staat verantwortlich war. Zwei Jahre später wurde er auf Betreiben Heinrichs sogar unter dem Titel eines maître en chirurgie in das Collège de Saint Côme et de Saint-Damien aufgenommen, das seit dem 13. Jahrhundert die erste professionelle Vereinigung französischer, akademisch geschulter Chirurgen war. Die Aufnahme Parés in diese elitäre Gemeinschaft stellte folglich einen großen Gunstbeweis des Königs dar und wurde von den Mitgliedern nur widerwillig akzeptiert. Paré traf es daher besonders, dass er Heinrich II. 1559 nicht retten konnte, als dieser im Verlauf eines Turniers von einer Lanze, die durch sein Auge gedrungen war, tödlich am Gehirn verletzt worden war. Die nachfolgenden Könige Franz II. (1544-1560), Karl IX. (1550-1574) und Heinrich III. (1551-1589) hielten dennoch an Paré fest, vertrauten auf sein Wissen und sein Können und machten ihn zu ihrem ersten Chirurgen am Hofe. Einen höheren Aufstieg hätte es für ihn nicht geben können. Er versorgte dennoch auch weiterhin die Verwundeten zahlreicher Schlachten und nahm unter anderem im Rahmen der Hugenottenkriege (1562-1598) bis mindestens 1570 an mehreren Feldzügen der französischen Armee teil.

Wenn er nicht unterwegs war, beschäftige er sich mit der Verschriftlichung der von ihm gemachten Erfahrungen und trug seine Erkenntnisse in zahlreichen Schriften zusammen, von denen die erste bereits 1545 erschien. ­Da Paré weder Latein noch Griechisch beherrschte, verfasste er seine Werke in einfachem Französisch, weshalb noch heute einige Begriffe in der modernen französischen Chirurgie direkt auf seine Werke zurückzuführen sind. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen finden sich Studien zur Versorgung von Schussverletzungen, ein Werk zur Behandlung der Pest, Überlegungen zur Konservierung von Leichen sowie die bereits 1550 erschienene Anatomie universelle du corps humain, also eine Universalanatomie des menschlichen Körpers. Seine Publikationen erwiesen sich auch über seinen Tod hinaus als extrem erfolgreich und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.               
Paré starb am 20. Dezember 1590 in Paris, wo er mit großen Ehren beigesetzt wurde. Noch heute wird ihm in Frankreich als Vater der Chirurgie gedacht.

Zum Weiterlesen:
Delacomptée, Jean-Michel: Ambroise Paré. La main savante, Paris 2007.
Dumaître, Paule: Ambroise Paré, chirurgien de quatre rois de France, Paris 1986.
Eckart, Wolfgang U.: Geschichte der Medizin, 2. Aufl., Berlin 1994.
Massard, Joseph Albert: Damvillers, Mansfeld und Sohn. Ambroise Paré, der Vater der Chirurgie, und Luxemburg, in: Lëtzebuerger Journal 74 (2007), S. 11–12.

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