Sonntag, 4. Oktober 2015

Vittoria Colonna - Teil 2*

Im ersten Teil unseres Porträts über Vittoria Colonna haben wir bereits erfahren, wie Vittoria aus politischen Gründen mit Ferrante d’Avalos verheiratet wurde. Doch während dieser im Krieg für die spanische Krone gegen die Franzosen kämpfte, blieb Vittoria auf Ischia zurück. Als Ferrante 1525 in der Schlacht von Pavia fiel, verarbeitete Vittoria den Tod ihres Ehemannes in ihrer Dichtung und wandte sich immer mehr der Spiritualität und Reformation zu.  
Colonna wollte sich nach dem Tod Ferrantes zunächst in das römische Kloster San Silvestro in Capite zurückziehen und dem Orden als Schwester beitreten, um sich ganz und gar dem religiösen Leben zu widmen. Dies wurde ihr aber von ihrem Bruder Ascanio (1500-1557) und Papst Clemens VII. (1523-1534) untersagt, wohinter wahrscheinlich politische Motive standen. Denn Colonna genoss großes Ansehen bei Kaiser Karl V. (1500-1558), nicht zuletzt durch die Verdienste ihres Ehemannes. Auch hatte sie ein besseres Verhältnis zu Papst Clemens VII. als ihr eher als aufbrausend und unvernünftig geltender Bruder Ascanio, der nach dem Tod des Vaters 1520 Familienoberhaupt geworden war, weswegen Vittoria eine Art Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Parteien einnahm. Tatsächlich sollte die Beziehung zwischen dem Hause Colonna und Papst Clemens VII. jedoch in den folgenden Jahren angespannter werden und schließlich unter Papst Paul III. (1534-1549) im sogenannten Salzkrieg enden, da Ascanio sich weigerte die von Paul III. erhöhte Salzsteuer zu zahlen.

Vittoria wandte sich dennoch bis zu ihrem Tod vermehrt religiösen Fragen zu. In den 1530er Jahren setzte sie sich aktiv für den 1526 neu gegründeten Kapuzinerorden ein. Der Orden verfolgte das Ziel zum ursprünglichen Armutsideal und zur Predigt der Franziskaner zurückzukehren. Vittoria erhoffte sich von der neuen religiösen Bewegung eine Erneuerung für die katholische Kirche. Zunächst erlaubte Papst Clemens VII. den Orden zwar, doch 1534 zwang er die Kapuziner erst in den Orden der Observanten zurückzukehren und vertrieb sie wenig später aus der Stadt. Erst unter Papst Paul III. erhielt der Orden 1538 schließlich wieder die päpstliche Anerkennung. Dieser Einsatz bot Vittoria eine erste Gelegenheit, sich aktiv für eine Erneuerung der Kirche auszusprechen.
In Rom lernte Vittoria Michelangelo Buonarotti (1475-1564) kennen, mit dem sie eine enge Freundschaft verbinden sollte, wovon nicht nur der Austausch von Briefen und Sonetten zeugt, sondern auch eine Reihe von Zeichnungen, die Michelangelo für Vittoria angefertigt hat, u. a. die Crocefissione von 1536 sowie eine Pietà und eine Maddalena. Auch ließ Vittoria ihm ein Manuskript ihrer Gedichte zukommen. Oft ist sie daher zur Muse Michelangelos stilisiert worden – ihre Freundschaft war aber wohl platonischer Natur.

Michelangelo, Pietà für Vittoria Colonna / Quelle:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/58/Pietà_per_Vittoria_Colonna.jpg

1537 begab sich Vittoria nach Ferrara an den Hof von Renée de France (1510-1574), die im Frühjahr 1536 bereits den Reformator Johannes Calvin (1509-1564) hatte begrüßen dürfen und selbst reformatorisches Gedankengut verfolgte. Ferrara war jedoch vermutlich nur eine Zwischenstation auf der Reise nach Venedig, von wo aus Vittoria mit einem Schiff auf eine Pilgerreise ins Heilige Land aufbrechen wollte. Doch Papst Paul III. verhinderte die Fahrt. Der Literaturwissenschaftler Giorgio Patrizi vermutet zudem, dass Vittoria in Ferrara Marguerite de Navarre (1492-1549), Schwester des französischen Königs, selbst Schriftstellerin und ebenfalls Befürworterin der Reformation, kennen gelernt habe. In jedem Fall sollten die beiden mächtigen Frauen einen regen Briefverkehr miteinander unterhalten, von dem heute jedoch nur noch fünf Briefe überliefert sind.
In Ferrara befand sich zu dieser Zeit auch der Prediger Bernardino Ochino (1487-1564), den Vittoria bereits 1534 in Rom kennen gelernt hatte. Die Beziehung zwischen Ochino und Vittoria sollte in den folgenden Jahren enger werden und Vittoria reiste ihm von Stadt zu Stadt nach, um seinen Predigten lauschen zu können. Ochino sollte zudem einer der ersten aus Vittorias näherem Umfeld werden, der der Inquisition zum Opfer fiel: 1542 floh er in die Schweiz. Ein Buch, das Ochino ihr aus dem Exil geschickt hatte, übergab Vittoria, vielleicht auf Anraten ihres Freundes Kardinal Reginald Pole (1500-1558) um sich selbst vor Vorwürfen der Häresie zu schützen, dem Kardinal Marcello Cervini (1501-1555), Mitglied der römischen Inquisition und späterer Papst Marcellus II. (1555).
Derweil verarbeitete und diskutierte Vittoria das religiöse Gedankengut der italienischen Reformationsbewegung auch in ihrer Dichtung, die von Anfang an von einer tiefen Spiritualität gekennzeichnet war. Im Jahr 1538  wurde schließlich die erste Druckausgabe ihrer sogenannten Rime amorose in Parma vom Verleger Antonio Viotti veröffentlicht, der sich davon einen großen Erfolg versprach – jedoch gegen den Willen Vittorias. Denn als Frau selbst zu veröffentlichen galt in der Renaissance als unanständig, da man sich durch eine Veröffentlichung selbst der Öffentlichkeit preisgab, was der Prostitution gleichkam: Die Grenze zwischen einer donna pubblica, einer Prostituierten, und einer donna che pubblica, einer Frau, die selbst veröffentlicht, war schmal. Es war dies die erste von zahlreichen Veröffentlichungen in den 1540er und 50er Jahren, davon allein zehn zu ihren Lebzeiten – alle ohne Einverständnis der Autorin. Jedoch zeugt dies vom immensen Erfolg und Bekanntheitsgrad, die Vittoria zu Lebzeiten genoss. Sie war die erste Frau überhaupt, der eine eigene Druckedition und ein Kommentar zu ihren Gedichten noch zu Lebzeiten gewidmet wurde (1542 von Rinaldo Corso). In ihrer Dichtung wandte sich Vittoria immer weiter von der Liebesdichtung zu ihrem verstorbenen Ehemann ab und stärker der Spiritualität zu, woraus die sogenannten Rime spirituali hervorgingen, in denen sie in petrarkistischen Sonetten mit mystischen Anklängen ihre Liebe zu Christus beschrieb.
Der oben bereits erwähnten Marguerite de Navarre ließ Vittoria eine handschriftliche Kopie ihrer Gedichte zukommen, die aber zunächst von Anne de Montmorency (1493-1567), französischer Grand Connétable, das heißt der oberste Beamte und Oberbefehlshaber der französischen Armeen, zurückgehalten und König François I. übergeben wurden, da er glaubte, dass Vittorias Verse reformatorisches und damit ketzerisches Gedankengut enthielten. Der Ruf Vittoria Colonnas als Anhängerin der italienischen Reformationsbewegung war also auch nach Frankreich gedrungen. Doch die Vorwürfe wurden fallen gelassen.
1541 brach schließlich der Konflikt zwischen Papst Paul III. und Vittorias Bruder Ascanio offen im sogenannten Salzkrieg aus. Vittoria hatte versucht beschwichtigend zwischen Ascanio und Paul III. zu vermitteln und auch Kaiser Karl V. hatte sie ermutigt, ihren Bruder zur Vernunft zu bringen – doch ohne Erfolg. In Folge des Krieges verlor die Familie Colonna alle Besitztümer im Kirchenstaat und Vittoria musste nach Orvieto und schließlich nach Viterbo flüchten.
In Viterbo hatte sich zudem ein Kreis von Intellektuellen und Theologen um Kardinal Reginald Pole gebildet, der reformatorische Fragestellungen diskutieren wollte. Der englische Kardinal Pole hatte seine Heimat verlassen müssen, als er sich gegen die von Heinrich VIII. (1491-1547) ausgelöste Kirchenspaltung stellte. Vittoria hegte große Bewunderung für den Kardinal und hatte für ihn beinahe mütterliche Gefühle.
Über Vittorias Ansichten in der sogenannten Ecclesia viterbensis geben die Prozessberichte im Inquisitionsverfahren gegen Pietro Carnesechi (1508-1567) Auskunft, der wie Vittoria ein weiterer Anhänger der italienischen Reformation um den Kreis in Viterbo war. Es ist bemerkenswert, wie beharrlich das Inquisitionstribunal Carnesechi über Vittoria ausfragte, um zu erfahren, ob diese eventuell ketzerisches reformatorisches Gedankengut verfolgt habe. Carnesechi wurde übrigens für schuldig erklärt und 1567 hingerichtet. Es ist schwierig, Vittoria in die Reformbewegungen einzuordnen und zu beurteilen, in wie weit sie als Häretikerin aus Sicht der katholischen Kirche bezeichnet werden kann. Zwar geht deutlich aus ihren Versen der Glaube an die Rechtfertigungslehre ex sola fide hervor, das heißt die Vorstellung der Reformatoren sich die Gnade Gottes nicht durch Werke erkaufen, sondern nur durch den Glauben von Gott erhalten zu können, andererseits verehrte sie aber beispielsweise Heilige, allen voran die Jungfrau Maria und Maria Magdalena.
Ende 1544 verließ Vittoria Viterbo wieder und kehrte nach Rom zurück, wo sie ihre letzten beiden Lebensjahre verbrachte. Aufschluss über diese Zeit bietet ein Bericht des portugiesischen Malers Francisco de Hollanda (1517-1585), der von 1539 bis 1548 für Karl V. aus Rom Bericht erstattete. In seinen Dialoghi treten Michelangelo und Vittoria als Gesprächspartner in einer Debatte um die Malerei und deren pädagogischen Wert auf.
Am 25. Februar 1547 schließlich starb Vittoria Colonna, wenige Monate vor dem Tod Pietro Bembos. Man könnte sagen, dass das Jahr 1547 einen Umbruch in der Geschichte Italiens markierte. Zwei Jahre zuvor waren durch das Konzil von Trient die Bemühungen um eine Aussöhnung zwischen katholischer Kirche und Reformation endgültig gescheitert. Die Gegenreformation nahm nun ihren Lauf und nicht zuletzt durch die Bedrohung der Inquisition wurde es schwieriger und gefährlicher, unorthodoxe Ansichten zu verfechten. So wurden auch die Werke Vittorias immer seltener veröffentlicht, vielleicht weil sich Verleger nicht den Vorwürfen der Häresie ausgesetzt sehen wollten. Zwar wurde Vittoria im Laufe der Jahrhunderte nie ganz vergessen, doch eine wirkliche Rezeption setzte erst wieder im 19. Jahrhundert ein.

Zum Weiterlesen
- Einen guten Überblick über die Biographie Vittoria Colonnas liefert der Eintrag unter ihrem Namen im Dizionario Biografico degli Italiani von 1982:
Patrizi, Giorgio: „COLONNA, Vittoria.“ In: Dizionario Biografico degli Italiani. Bd. 27. Rom: Treccani, 1982. (auch online unter:
http://www.treccani.it/enciclopedia/vittoria-colonna_(Dizionario_Biografico)
zuletzt aufgerufen am 1. Juni 2015)
- Ein Standardwerk ist der Katalog der Ausstellung Vittoria Colonna. Dichterin und Muse Michelangelos des kunsthistorischen Museums Wien. Neben zahlreichen Abbildungen finden sich dort auch Artikel zu den wichtigsten Aspekten von Vittorias Leben und Schaffen.
Ferino-Pagden, Sylvia [Hrsg.]: Vittoria Colonna: Dichterin und Muse Michelangelos. Katalog des Kunsthistorischen Museums Wien, 25 Februar - 25 Mai 1997. Wien: Skira, 1997.
- Die Gedichte Vittoria Colonnas wurden 1982 in einer Gesamtausgabe von Alan Bullock veröffentlicht.
Colonna, Vittoria: Rime. Hrsg. von Alan Bullock. Roma: Laterza, 1982.
- Eine deutsche Übersetzung der Gedichte Colonnas stammt aus dem 19. Jahrhundert, jedoch ist diese Übertragung der Gedichte stark von der Romantik durchsetzt:
Colonna, Victoria: Sonette. Übersetzt von Bertha Arndts. In zwei Bänden. Schaffenhausen: Huerter’sche
Buchhandlung, 1858. (auch online unter:
               http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10755234_00005.html
               zuletzt aufgerufen am 1. Juni 2015)
- Empfehlenswert sind auch die englische Übersetzung und der dazugehörige Kommentar von Abigail Brundin. 
Colonna, Vittoria: Sonnets for Michelangelo. A Bilingual Edition. Hrsg. und übersetzt von Abigail Brundin. Chicago: University of Chicago Press, 2005.

*Dieser Artikel stammt von Gastautor Daniel Fliege. Daniel studiert Literaturwissenschaft an der Universität Paris Sorbonne (Paris IV) als Stipendiat der École normale supérieure (Paris Ulm). Er beschäftigt sich mit der romanischen Lyrik des Mittelalters und der Renaissance, insbesondere mit der höfischen Liebe und dem Petrarkismus.

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