Möchte
man sich heute einen Überblick über den Wissensstand in den verschiedenen
Disziplinen wie etwa Geographie, Mathematik oder Medizin vom Ende des 17.
Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts verschaffen, so lohnt ein Blick
in das Grosse vollständige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und
Künste, das von 1732 bis 1754 in 64 Bänden und vier Supplementbänden
erschien und den Anspruch erhob, das gesammelte akademische und
nicht-akademische Wissen der Zeit zu sammeln, in Volkssprache zu verbreiten und
es einem möglichst großen Rezipientenkreis relativ preisgünstig zugänglich zu
machen. Somit stellt das Zedlersche Lexikon europaweit das umfangreichste
Projekt einer Enzyklopädie im 18. Jahrhundert dar. In unserem heutigen Artikel
beschäftigen wir uns mit der schwierigen Entstehungsgeschichte des Lexikons,
seinem Verleger Johann Heinrich Zedler (1706-1751) sowie mit der Kritik, mit der
sich die Autoren auseinandersetzen mussten.
Am
26. März 1730 kündigte der Leipziger Buchhändler und Verleger Johann Heinrich
Zedler in den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen an, dass „[i]n des
Commercien-Rath, Johann Heinrich Zedlers Buchhandlung allhier, ist der Titel
sammt der Nachricht von dem grossen Universal-Lexico aller Wissenschafften,
ohne Entgeld zu haben [sei]. Er lässt solches durch Subscription drucken, damit
er dieses grosse Werck dem Publico um die Hellfte des sonst gewöhnlichen
Preißes liefern kann.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der gerade einmal
24-Jährige auf dem Leipziger Buchmarkt bislang nur einen Namen durch die
Verlegung von Martin Luthers Schriften gemacht. Seine Ankündigung, das
zeitgenössische Wissen verschiedenster Bereiche, für die es bislang beinahe
ausschließlich Speziallexika wie beispielsweise das Allgemeines Lexicon Der
Künste und Wissenschafften (1721) gegeben hatte, nun in einem Werk
gesammelt auf Deutsch zu präsentieren, rief unter den übrigen Verlegern in
Leipzig unmittelbare Nervosität hervor. Sie fürchteten eine neue und starke Konkurrenz
am hart umkämpften Buchmarkt und bangten um den Absatz ihrer verlegten Werke. Als
Zedler schließlich am 17. September 1730 ein kursächsisches Druckprivileg
beantragte, um sein Lexikon vor Nachdrucken zu schützen, legte der Verleger
Johann Gottlieb Gledtisch (1688-1738) Widerspruch gegen diesen Antrag ein und
argumentierte, dass sein Vater bereits 1726 für zehn Jahre ein kursächsisches
Privileg für das Allgemeine Historische Lexicon erhalten habe und dass
Zedler sein Lexikon wohl kaum auf den Markt bringen könne, ohne aus dem bereits
genannten Lexikon zu plagiieren. Der Plagiatsvorwurf, der hier erstmals öffentlich
thematisiert wurde, sollte ihn weiterverfolgen und bei der Veröffentlichung
eines jeden neuen Bandes erneut zur Sprache kommen. So hatte Gleditsch mit
seinem Einspruch auch zunächst Erfolg und Zedler wurde das Druckprivileg
verweigert. Auch wurde ihm mit Beschlagnahmung des Lexikons gedroht, was eine
Verzögerung der Veröffentlichung des ersten Bandes nach sich zog, die
eigentlich für Ostern 1731 angedacht gewesen war. Zedler ließ sich jedoch durch
diese Niederlage nicht von seinem Projekt abbringen, sondern er verlagerte die
Produktion des ersten Bandes nach Preußen. Der Kanzler der Universität Halle
stellte ihm eine Druckerei zur Verfügung und schließlich wurde ihm im Frühjahr
1731 sowohl ein kaiserliches als auch ein königlich-preußisches Druckprivileg
bewilligt. Als Dank für diese Unterstützung widmete Zedler den ersten Band des
Lexikons folgerichtig Kaiser Karl VI. und seiner Frau Elisabeth Christine von
Braunschweig-Wolfenbüttel.
Titelseite von Zedlers Universal-Lexikon, Erster Band,
Halle und Leipzig 1732.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/05/Zedler_-_Universal-Lexicon%2C_Band_1_%28Titelblatt%29.jpg
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Im Oktober 1731 schließlich erschien der mit Spannung und Misstrauen erwartete erste Band des Universal-Lexicons, was Zedlers Konkurrenten bis zuletzt zu verhindern versucht hatten. Nach der Veröffentlichung erreichten sie sogar, dass die Leipziger Bücherkommission eine Beschlagnahmung aller gedruckten Exemplare anordnete. Zedler gelang es zwar, die Kommission davon zu überzeugen, dass er wenigstens die Exemplare ausliefern durfte, die nicht in Kursachsen gedruckt worden waren, der immer weiter schwelende Konflikt mit den anderen Leipziger Verlegern sowie weitere Krisen belasteten das Enzyklopädieprojekt jedoch stark und zogen vor allem immer größer werdende finanzielle Probleme nach sich. Zwar gelang es Zedler, auch die nachfolgenden Bände auf dem Buchmarkt zu platzieren, gleichzeitig mehrten sich dadurch jedoch die Plagiatsvorwürfe gegenüber seinen Autoren und Schmähschriften versuchten seinem Ruf langfristig zu schaden. 1733 musste außerdem ein neuer Herausgeber gefunden werden, nachdem Jacob August Franckenstein (1689-1733) nach Konflikten erklärt hatte, „daß er mit der Zedlerischen Verlags-Arbeit ferner nichtes zu thun haben wolle. Mithin er auch an solcher keinen fernern Theil nehme.“ Gleichzeitig traf Zedler einige verlegerische Entscheidungen, die sich als finanzielle Misserfolge herausstellen sollten, da sich andere von ihm verlegte Werke schlecht oder gar nicht verkauften und er außerdem die Bestände einer Verlagsbuchhandlung aufkaufte, die sich wiederum nicht absetzen ließen. Bald mehrten sich in Leipzig die Gerüchte, dass der Verleger in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte. Zedler versuchte den drohenden Ruin abzuwenden, indem er seine Bücher zu äußerst günstigen Preisen anbot und im Februar 1735 eine Bücherlotterie initiierte, die zunächst verboten wurde und dann auch nicht den erhofften Erfolg brachte. In einem Bericht des Rates der Stadt Leipzig vom 10. Oktober 1738 findet sich dann ein Hinweis auf den „Zedlerischen Concurs“.
Als
Retter in der Not erwies sich schließlich der Leipziger Geschäftsmann Johann
Heinrich Wolf, über den nur wenig bekannt ist, dem aber wohl die Fortsetzung
des Lexikons als treuer Leser ein persönliches Anliegen war. Durch die
finanzielle Unterstützung Wolfs konnte sich Zedler nun der Produktion weiterer
Bände widmen, wobei er sein Engagement hinsichtlich des Lexikons jedoch mehr
und mehr einschränkte. So heißt es im 61. Band, der 1749 erschien und in dem
ihm ein eigener Artikel gewidmet ist, er habe „die Ruhe den
Handels-Geschäfften vorzuziehen sich entschlossen.“ Zedler starb 1751 im
Alter von 45 Jahren ohne den Abschluss seines Lexikons erlebt zu haben.
Als
drei Jahre später schließlich der letzte Band erschien, umfasste das Universal-Lexicon
insgesamt mehr als 63.000 Seiten, rund 284.000 Lemmata, davon etwa 120.000
biographische Einträge, 91.000 zu unterschiedlichen fachwissenschaftlichen
Themen und 73.000 Artikel geographischen Inhalts sowie circa 276.000 Verweise
innerhalb der einzelnen Bände. In Länge, Stil und Gliederung lassen sich dabei
zum Teil große Unterschiede zwischen den einzelnen Artikeln feststellen. Auch
weisen die späteren Bände eine deutlich klarer hervortretende Systematik auf
als noch die ersten Bände. Die einzelnen Bände zeugen insgesamt von einem
ständigen Prozess der Weiterentwicklung und der Optimierung. Völlig neuartig
für den Lexikonmarkt der Zeit war dabei, dass im Zedlerschen Universal-Lexicon sowohl Artikel zu
wissenschaftlichen Themen als auch zu nichtwissenschaftlichen Themen
gleichberechtigt nebeneinanderstanden und eine Vielzahl von Personen an der
Entstehung des Projektes beteiligt war. Auch wurden teilweise die LeserInnen selbst
dazu aufgefordert, Artikel um bislang fehlende Informationen zu ergänzen.
Einige
Zedler-Bände in zeitgenössischen Einbänden in der Zentralbibliothek Solothurn,
Schweiz.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a4/Zedler-zbso-1.jpg
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Der
Plagiatsvorwurf, der gegen eine Vielzahl von Artikeln erhoben worden war, ist
auch deshalb teilweise nur schwer zu belegen oder zu entkräften, da die
Autorschaft der meisten Artikel bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden
konnte. In der Vorrede zum ersten Band werden neun Musen als Verfasser benannt,
die jeweils über Expertenwissen in verschiedenen thematischen Bereichen
verfügten. Deren Identität sollte zwar zum Abschluss des Lexikons preisgegeben
werden, dieses Versprechen wurde jedoch nicht eingehalten, so dass die
Anonymität und der persönliche Schutz vor Plagiatsvorwürfen gewahrt blieben.
Aufgrund der großen Anzahl an Bänden und der langen Entstehungszeit kann zudem
vermutet werden, dass durchaus mehr als neun Personen an der Abfassung des
Lexikons beteiligt waren. Nur einige Autoren konnten mittlerweile namentlich
identifiziert werden und es wird vermutet, dass eine Vielzahl der Verfasser aus
dem Umfeld der Universitäten Halle und Leipzig stammen könnte. Der berühmte
Schriftsteller Johann Christoph Gottsched (1700-1766) hingegen gab noch zu
Lebzeiten eine Erklärung heraus und distanzierte sich vom Verdacht der
Mitarbeit. Obwohl sich bereits in der Vorrede zum ersten Band deutlich vom
möglichen Vorwurf des Plagiats distanziert wurde, wenn es heißt, dass Zedler
„[…] keine Lexica, wie ihme fälschlich
Schuld gegeben worden, zusammen schreiben und anderer Leute ihre Arbeit drucken
[lasse]. Er hält und besoldet seine neun Musen oder Mitarbeiter darauf: daß
jeder selbsten in seiner Arbeit oder metier sein Heil versuchen möge“,
weiß man heute, dass Zedlers Autoren sehr wohl in großem Umfang andere Lexika
plagiierten und teilweise deren Inhalte vollständig übernommen hatten, jedoch
in einer Zeit, in der das Urheberrecht in seiner Entwicklung noch an den
Anfängen stand.
Zum
Weiterlesen:
Hier
gibt es die Möglichkeit, direkt im Zedler
zu recherchieren: https://www.zedler-lexikon.de/
Gierl,
Martin: Kompilation und die Produktion von Wissen im 18. Jahrhundert, in:
Martin Mulsow / Helmut Zedelmaier (Hgg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in
der Frühen Neuzeit, Tübingen 2001, S. 63-94.
Kaminski,
Nicola: Die Musen als Lexikographen. Zedlers „Grosses vollständiges
Universal-Lexicon“ im Schnittpunkt von poetischem, wissenschaftlichem,
juristischem und ökonomischem Diskurs, in: Daphnis 29 (2000), S. 649-693.
Lohsträter,
Kai / Flemming Schock, Flemming (Hgg.): Die gesammelte Welt. Studien zu Zedlers
Universal-Lexicon, Wiesbaden 2013.
Quedenbaum,
Gerd: Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler 1706–1751. Ein
Buchunternehmer in den Zwängen seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des
deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 1977.
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