Sonntag, 17. Juni 2018

Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste


Möchte man sich heute einen Überblick über den Wissensstand in den verschiedenen Disziplinen wie etwa Geographie, Mathematik oder Medizin vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts verschaffen, so lohnt ein Blick in das Grosse vollständige Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, das von 1732 bis 1754 in 64 Bänden und vier Supplementbänden erschien und den Anspruch erhob, das gesammelte akademische und nicht-akademische Wissen der Zeit zu sammeln, in Volkssprache zu verbreiten und es einem möglichst großen Rezipientenkreis relativ preisgünstig zugänglich zu machen. Somit stellt das Zedlersche Lexikon europaweit das umfangreichste Projekt einer Enzyklopädie im 18. Jahrhundert dar. In unserem heutigen Artikel beschäftigen wir uns mit der schwierigen Entstehungsgeschichte des Lexikons, seinem Verleger Johann Heinrich Zedler (1706-1751) sowie mit der Kritik, mit der sich die Autoren auseinandersetzen mussten.

Am 26. März 1730 kündigte der Leipziger Buchhändler und Verleger Johann Heinrich Zedler in den Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen an, dass „[i]n des Commercien-Rath, Johann Heinrich Zedlers Buchhandlung allhier, ist der Titel sammt der Nachricht von dem grossen Universal-Lexico aller Wissenschafften, ohne Entgeld zu haben [sei]. Er lässt solches durch Subscription drucken, damit er dieses grosse Werck dem Publico um die Hellfte des sonst gewöhnlichen Preißes liefern kann.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der gerade einmal 24-Jährige auf dem Leipziger Buchmarkt bislang nur einen Namen durch die Verlegung von Martin Luthers Schriften gemacht. Seine Ankündigung, das zeitgenössische Wissen verschiedenster Bereiche, für die es bislang beinahe ausschließlich Speziallexika wie beispielsweise das Allgemeines Lexicon Der Künste und Wissenschafften (1721) gegeben hatte, nun in einem Werk gesammelt auf Deutsch zu präsentieren, rief unter den übrigen Verlegern in Leipzig unmittelbare Nervosität hervor. Sie fürchteten eine neue und starke Konkurrenz am hart umkämpften Buchmarkt und bangten um den Absatz ihrer verlegten Werke. Als Zedler schließlich am 17. September 1730 ein kursächsisches Druckprivileg beantragte, um sein Lexikon vor Nachdrucken zu schützen, legte der Verleger Johann Gottlieb Gledtisch (1688-1738) Widerspruch gegen diesen Antrag ein und argumentierte, dass sein Vater bereits 1726 für zehn Jahre ein kursächsisches Privileg für das Allgemeine Historische Lexicon erhalten habe und dass Zedler sein Lexikon wohl kaum auf den Markt bringen könne, ohne aus dem bereits genannten Lexikon zu plagiieren. Der Plagiatsvorwurf, der hier erstmals öffentlich thematisiert wurde, sollte ihn weiterverfolgen und bei der Veröffentlichung eines jeden neuen Bandes erneut zur Sprache kommen. So hatte Gleditsch mit seinem Einspruch auch zunächst Erfolg und Zedler wurde das Druckprivileg verweigert. Auch wurde ihm mit Beschlagnahmung des Lexikons gedroht, was eine Verzögerung der Veröffentlichung des ersten Bandes nach sich zog, die eigentlich für Ostern 1731 angedacht gewesen war. Zedler ließ sich jedoch durch diese Niederlage nicht von seinem Projekt abbringen, sondern er verlagerte die Produktion des ersten Bandes nach Preußen. Der Kanzler der Universität Halle stellte ihm eine Druckerei zur Verfügung und schließlich wurde ihm im Frühjahr 1731 sowohl ein kaiserliches als auch ein königlich-preußisches Druckprivileg bewilligt. Als Dank für diese Unterstützung widmete Zedler den ersten Band des Lexikons folgerichtig Kaiser Karl VI. und seiner Frau Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel.

Titelseite von Zedlers Universal-Lexikon, Erster Band, Halle und Leipzig 1732.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/05/Zedler_-_Universal-Lexicon%2C_Band_1_%28Titelblatt%29.jpg

Im Oktober 1731 schließlich erschien der mit Spannung und Misstrauen erwartete erste Band des Universal-Lexicons, was Zedlers Konkurrenten bis zuletzt zu verhindern versucht hatten. Nach der Veröffentlichung erreichten sie sogar, dass die Leipziger Bücherkommission eine Beschlagnahmung aller gedruckten Exemplare anordnete. Zedler gelang es zwar, die Kommission davon zu überzeugen, dass er wenigstens die Exemplare ausliefern durfte, die nicht in Kursachsen gedruckt worden waren, der immer weiter schwelende Konflikt mit den anderen Leipziger Verlegern sowie weitere Krisen belasteten das Enzyklopädieprojekt jedoch stark und zogen vor allem immer größer werdende finanzielle Probleme nach sich. Zwar gelang es Zedler, auch die nachfolgenden Bände auf dem Buchmarkt zu platzieren, gleichzeitig mehrten sich dadurch jedoch die Plagiatsvorwürfe gegenüber seinen Autoren und Schmähschriften versuchten seinem Ruf langfristig zu schaden. 1733 musste außerdem ein neuer Herausgeber gefunden werden, nachdem Jacob August Franckenstein (1689-1733) nach Konflikten erklärt hatte, „daß er mit der Zedlerischen Verlags-Arbeit ferner nichtes zu thun haben wolle. Mithin er auch an solcher keinen fernern Theil nehme.“ Gleichzeitig traf Zedler einige verlegerische Entscheidungen, die sich als finanzielle Misserfolge herausstellen sollten, da sich andere von ihm verlegte Werke schlecht oder gar nicht verkauften und er außerdem die Bestände einer Verlagsbuchhandlung aufkaufte, die sich wiederum nicht absetzen ließen. Bald mehrten sich in Leipzig die Gerüchte, dass der Verleger in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte. Zedler versuchte den drohenden Ruin abzuwenden, indem er seine Bücher zu äußerst günstigen Preisen anbot und im Februar 1735 eine Bücherlotterie initiierte, die zunächst verboten wurde und dann auch nicht den erhofften Erfolg brachte. In einem Bericht des Rates der Stadt Leipzig vom 10. Oktober 1738 findet sich dann ein Hinweis auf den „Zedlerischen Concurs.

Als Retter in der Not erwies sich schließlich der Leipziger Geschäftsmann Johann Heinrich Wolf, über den nur wenig bekannt ist, dem aber wohl die Fortsetzung des Lexikons als treuer Leser ein persönliches Anliegen war. Durch die finanzielle Unterstützung Wolfs konnte sich Zedler nun der Produktion weiterer Bände widmen, wobei er sein Engagement hinsichtlich des Lexikons jedoch mehr und mehr einschränkte. So heißt es im 61. Band, der 1749 erschien und in dem ihm ein eigener Artikel gewidmet ist, er habe „die Ruhe den Handels-Geschäfften vorzuziehen sich entschlossen.“ Zedler starb 1751 im Alter von 45 Jahren ohne den Abschluss seines Lexikons erlebt zu haben.

Als drei Jahre später schließlich der letzte Band erschien, umfasste das Universal-Lexicon insgesamt mehr als 63.000 Seiten, rund 284.000 Lemmata, davon etwa 120.000 biographische Einträge, 91.000 zu unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Themen und 73.000 Artikel geographischen Inhalts sowie circa 276.000 Verweise innerhalb der einzelnen Bände. In Länge, Stil und Gliederung lassen sich dabei zum Teil große Unterschiede zwischen den einzelnen Artikeln feststellen. Auch weisen die späteren Bände eine deutlich klarer hervortretende Systematik auf als noch die ersten Bände. Die einzelnen Bände zeugen insgesamt von einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung und der Optimierung. Völlig neuartig für den Lexikonmarkt der Zeit war dabei, dass im Zedlerschen Universal-Lexicon sowohl Artikel zu wissenschaftlichen Themen als auch zu nichtwissenschaftlichen Themen gleichberechtigt nebeneinanderstanden und eine Vielzahl von Personen an der Entstehung des Projektes beteiligt war. Auch wurden teilweise die LeserInnen selbst dazu aufgefordert, Artikel um bislang fehlende Informationen zu ergänzen.

Einige Zedler-Bände in zeitgenössischen Einbänden in der Zentralbibliothek Solothurn, Schweiz.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a4/Zedler-zbso-1.jpg

Der Plagiatsvorwurf, der gegen eine Vielzahl von Artikeln erhoben worden war, ist auch deshalb teilweise nur schwer zu belegen oder zu entkräften, da die Autorschaft der meisten Artikel bis heute nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte. In der Vorrede zum ersten Band werden neun Musen als Verfasser benannt, die jeweils über Expertenwissen in verschiedenen thematischen Bereichen verfügten. Deren Identität sollte zwar zum Abschluss des Lexikons preisgegeben werden, dieses Versprechen wurde jedoch nicht eingehalten, so dass die Anonymität und der persönliche Schutz vor Plagiatsvorwürfen gewahrt blieben. Aufgrund der großen Anzahl an Bänden und der langen Entstehungszeit kann zudem vermutet werden, dass durchaus mehr als neun Personen an der Abfassung des Lexikons beteiligt waren. Nur einige Autoren konnten mittlerweile namentlich identifiziert werden und es wird vermutet, dass eine Vielzahl der Verfasser aus dem Umfeld der Universitäten Halle und Leipzig stammen könnte. Der berühmte Schriftsteller Johann Christoph Gottsched (1700-1766) hingegen gab noch zu Lebzeiten eine Erklärung heraus und distanzierte sich vom Verdacht der Mitarbeit. Obwohl sich bereits in der Vorrede zum ersten Band deutlich vom möglichen Vorwurf des Plagiats distanziert wurde, wenn es heißt, dass Zedler „[…] keine Lexica, wie ihme fälschlich Schuld gegeben worden, zusammen schreiben und anderer Leute ihre Arbeit drucken [lasse]. Er hält und besoldet seine neun Musen oder Mitarbeiter darauf: daß jeder selbsten in seiner Arbeit oder metier sein Heil versuchen möge“, weiß man heute, dass Zedlers Autoren sehr wohl in großem Umfang andere Lexika plagiierten und teilweise deren Inhalte vollständig übernommen hatten, jedoch in einer Zeit, in der das Urheberrecht in seiner Entwicklung noch an den Anfängen stand. 

Zum Weiterlesen:
Hier gibt es die Möglichkeit, direkt im Zedler zu recherchieren: https://www.zedler-lexikon.de/
Gierl, Martin: Kompilation und die Produktion von Wissen im 18. Jahrhundert, in: Martin Mulsow / Helmut Zedelmaier (Hgg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2001, S. 63-94.
Kaminski, Nicola: Die Musen als Lexikographen. Zedlers „Grosses vollständiges Universal-Lexicon“ im Schnittpunkt von poetischem, wissenschaftlichem, juristischem und ökonomischem Diskurs, in: Daphnis 29 (2000), S. 649-693.
Lohsträter, Kai / Flemming Schock, Flemming (Hgg.): Die gesammelte Welt. Studien zu Zedlers Universal-Lexicon, Wiesbaden 2013.
Quedenbaum, Gerd: Der Verleger und Buchhändler Johann Heinrich Zedler 1706–1751. Ein Buchunternehmer in den Zwängen seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Buchhandels im 18. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 1977.

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