Sonntag, 20. Mai 2018

Attentat auf einen Papst – Leo III. und die Kaiserkrönung Karls des Großen*

Der 25. April 799 ist in die Weltgeschichte eingegangen, obwohl die Ereignisse dieses Tages in Rom zunächst einmal nur mit den dortigen Begebenheiten zu tun hatten. Die weltgeschichtliche Bedeutung erhielten die Ereignisse erst durch ihre Nachwirkung. Denn sie waren der Ausgangspunkt einer Reihe von Geschehnissen, die schlussendlich zu einem der bekanntesten Meilensteine des abendländischen Mittelalters führen sollten: der Kaiserkrönung Karls des Großen (768-814) am Weihnachtstag des Jahres 800. 
Doch was geschah an diesem 25. April in Rom? Welche Nachwirkungen brachten die Geschehnisse genau mit sich? Und warum war Karls Kaiserkrönung so besonders und wichtig? Diese und andere Fragen sollen in diesem kurz!-Artikel beantwortet werden. 

Am 25. April 799 – dem Tag des heiligen Marcus – hielt Papst Leo III. (795-816) eine große Bittprozession ab. Dies war an sich nichts Besonderes, die Päpste führen bis heute das ganze Jahr hindurch viele solcher Prozessionen an. An diesem Tag jedoch war Leo III. in Gefahr, denn er hatte Gegner unter den Noblen Roms, die ein Attentat auf ihn planten.

Leo III. auf einem Mosaik im Triclinium des Lateran-Palastes (um 799)
(https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_III._(Papst)#/media/File:Leo_III_Mosaic.jpg)

Um zu verstehen, warum Leo III. Opfer eines Anschlages werden sollte, muss man sich zunächst die politische Situation in Rom am Ende des 8. Jahrhunderts klarmachen. Das Papsttum war keinesfalls eine so stark gefestigte und institutionalisierte Einrichtung wie heute, sondern vielmehr den Interessen und Konflikten des lokalen römischen Adels ausgesetzt. Leos Vorgänger Hadrian I. (772-795) war Teil dieses römischen Adels gewesen, Leo III. vermutlich nicht – auch wenn sich seine Herkunft aus den Quellen nicht näher bestimmen lässt. Obwohl sich die genauen Motive und Ziele der Gegner Leos III. heute nicht mehr fassen lassen, waren diese doch sichtlich unzufrieden mit dem Papst und warfen ihm schwere Vergehen vor, unter anderem Meineid und Ehebruch. Als Anführer der Aufrührer lassen sich heute noch die Adligen Paschalis und Campulus identifizieren, die hohe Ämter am päpstlichen Hof innehatten und wohl auch in familiären Beziehungen zu Hadrian I. gestanden hatten.

Aus den zeitgenössischen Quellen lassen sich die Ereignisse des 25. April 799 und der Tage danach relativ gut konstruieren. Der Papst führte zu Pferde die Prozession an, deren Weg sich vom Lateran bis hin zur Kirche des Hl. Laurentius erstreckte. Paschalis und Campulus sollen ihn dabei noch in freundlichem Gespräch begleitet haben. In der Nähe der Laurentiuskirche brachen jedoch ihre Unterstützer aus einem Hinterhalt. Sie überfielen den Papst, zerrten ihn vom Pferd, schlugen ihn und raubten ihn aus. Mehrere Quellen berichten außerdem, man habe dem Papst die Zunge herausgeschnitten, ihn geblendet und fast getötet. Damit wäre Leo III. unfähig gewesen, das Amt des Papstes länger auszuüben. Da er jedoch nach diesen Ereignissen weitere 16 Jahre Papst blieb und auch in seinem späteren Reinigungseid vor Karl dem Großen nichts dergleichen erwähnt wird, gehören die Darstellungen seiner Verstümmelungen wohl eher ins Reich der Legenden. 

Sicher ist aber, dass Leo III. nach diesem Anschlag zunächst einmal im Kloster San Erasmo inhaftiert wurde. Angeblich konnte er von dort mit Hilfe eines Kämmerers bei Nacht und Nebel fliehen, indem er sich an einem Seil an der Mauer herabließ. Es gelang Leo, sich zu zwei Gesandten des Frankenkönigs Karl zu flüchten, die sich in der Nähe der Stadt aufhielten. Diese brachten ihn zunächst nach Spoleto und dann weiter über die Alpen ins Frankenreich zu ihrem König, der den Papst mit allen Ehren in Paderborn empfing.

Warum aber flüchtete Leo zu Gesandten des fernen Frankenkönigs Karls und nicht zu einem italischen Potentaten oder gar zu Vertretern des oströmischen Kaisers, der in Konstantinopel residierte und dessen Vertreter nicht weit von Rom weilte? Diesem Kaiser gehörten in jener Zeit noch viele Gebiete in Italien und streng genommen stand auch die Stadt Rom unter seiner Herrschaft. Lange Zeit war der Papst “nur” ein Bischof im Reich des Kaisers gewesen – wenn auch mit einer gewissen Ehrenstellung – und die Päpste hatten sich nur langsam eine Vorrangstellung unter den Bischöfen erarbeitet. So hatte erst Hadrian I. (772-795) mit der Tradition gebrochen, päpstliche Urkunden ausschließlich nach den Regierungsjahren des Kaisers zu datieren, indem er auch die des Papstes eingefügt hatte. Hadrian war es auch gewesen, der sich aufgrund von italischen Machtwirrungen näher am Frankenkönig Karl orientiert hatte. Denn dieser war einerseits seit den späten 770er Jahren machtvoll genug, um eine Schutzmacht für das Papsttum darstellen zu können. Andererseits war er geographisch auch weit genug entfernt, um sich nicht allzu sehr in die Belange des Papsttums einmischen zu können, wie es zahlreiche italische Potentaten häufig taten.

Leo und Karl trafen sich noch im Jahr 799 in Paderborn. Leider wissen wir nichts Genaues über die dort geführten Verhandlungen und können uns nur aufgrund der folgenden Ereignisse einige Rückschlüsse erlauben. Sicher ist, dass Karl und Leo in Paderborn Leos Rückkehr nach Rom und sicherlich auch Karls zukünftige Rolle in Bezug auf das Papsttum planten. 

Im Jahr 800 kehrte Leo III. nach Rom zurück und es wurden Untersuchungen über die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen durchgeführt. Kirchenrechtlich konnte jedoch über den Papst nicht gerichtet werden. Deswegen reichte es aus, dass Leo III. am 22. Dezember 800 in Anwesenheit Karls, der inzwischen in Rom eingetroffen war, einen Reinigungseid leistete. Leo beschwor seine Unschuld und konnte somit sein päpstliches Amt wieder einnehmen. Am 25. Dezember 800, dem Weihnachtstag, krönte Leo III. Karl den Großen schließlich in der Petersbasilika zum Kaiser. Die Hintergründe dieses Ereignisses sind bis heute nicht komplett geklärt und werden aufgrund der Quellenlage auch wohl nie restlos aufgeschlüsselt werden. Die Vita Karls des Großen aus der Feder seines Vertrauten Einhard lässt verlauten, Karl habe alleine in der Basilika gebetet, als Leo ihm überraschend die Kaiserkrone aufsetzte. Diese Version ist wenig wahrscheinlich und soll eher die Bescheidenheit Karls ausdrücken. Eventuelle Absprachen und Planungen zwischen Leo und Karl lassen sich jedoch nicht mehr rekonstruieren. 

Kaiserkrönung Karls des Großen durch Papst Leo III. – 1944 zerstörtes Fresko im Aachener Rathaussaal.
Alfred Rethel und Joseph Kehren, um 1869
(
https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_III._(Papst)#/media/File:Josef_Kehren_Kroenung_Karl_der_Grosse.jpg)

Mit dieser Krönung war Karl der erste römische Kaiser im Westen seit fast 400 Jahren. In dieser Zeit hatten die oströmischen Kaiser in Konstantinopel das Römische Reich, das in den Regionen West- und Mitteleuropas zerfallen war, aufrechterhalten und sie verstanden sich als universale Kaiser. Nun profitierten Karl und Leo von einer außergewöhnlichen Situation in Konstantinopel: Im Jahr 800 regierte mit Irene eine sehr unbeliebte Kaiserin, die durch Mord – nicht zuletzt an ihrem eigenen Sohn – den Kaisertitel erlangt hatte, weshalb Karl und Leo den Kaiserthron für vakant erklärten.

Trotzdem blieb die Kaiserkrönung Karls nicht ohne diplomatische Folgen. Man einigte sich jedoch wenige Jahre später mit einem neuen oströmischen Kaiser darauf, sich gegenseitig anzuerkennen. Somit begründete Karls Krönung im Jahr 800 die Tradition der Kaiser jenseits der Alpen, die sich das ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit hielt. Der letzte Kaiser in dieser Reihe dankte 1806 auf Druck Napoleons ab. Somit hatte diese Tradition mehr als 1000 Jahre Bestand. Und alles hatte mit einem Angriff auf einen Papst an einem Frühlingstag im Jahr 799 begonnen.

Zum Weiterlesen
  • Godman, Peter, Jarnut, Jörg, Johanek, Peter [Hrsg.]: Am Vorabend der Kaiserkönung. Das Epos “Karolus Magnus et Leo papa” und der Papstbesuch in Paderborn 799, Berlin 2002.
  • Mierau, Heike Johanna: Kaiser und Papst im Mittelalter, Köln u. a. 2010.
  • Pauler, Roland: Der Ueberfall auf Papst Leo III. in Quellen und Forschungen. Ein Kriminalfall wird neu aufgerollt (Politik im Mittelalter 11), Neuried 2015.

*Dieser Artikel stammt von Gastautorin Rebekka Gotter. Rebekka studierte Geschichte und Anglistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und arbeitete nebenberuflich als Studentische Hilfskraft und Tutorin an der dortigen Abteilung für Historische Hilfswissenschaften und Archivkunde. Momentan promoviert sie an der Universität Oulu (Finnland) zu römischen kanonischen Rechtssammlungen während des Investiturstreits.

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