Sonntag, 7. Juni 2015

Das Gehofische Nonnengespenst

In den Herbstmonaten des Jahres 1683 wurden die Einwohner des kleinen in der Grafschaft Mansfeld im heutigen Sachsen-Anhalt gelegenen Gehofen in Aufregung versetzt. Angeblich sei auf einem ehemaligen Rittergut plötzlich ein Gespenst erschienen, welches dort nun sein Unwesen treibe und besonders eine Bewohnerin schikaniere. Schnell verbreiteten sich die Erzählungen und Spekulationen, die sich um das bald sogenannte Gehofische Nonnengespenst rankten, auch über die Dorfgrenzen hinaus. Das Gespenst, welches von Oktober 1683 bis in die Frühlingsmonate des Jahres 1684 spukte, entwickelte sich dabei zu einer der bekanntesten Geistergeschichten seiner Zeit und wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein vor allem in protestantischen Gegenden rezipiert.

Das Gespenst suchte ausschließlich Philippina von Eberstein, die Ehefrau des Gehofener Gutsbesitzers Georg Sittich von Eberstein, heim. Philippina berichtete dem Dorfpfarrer Bernhard Thalemann von ihren Erlebnissen: Die „Gestalt einer ganz weiß gekleideten Nonne mit einem rothen Creutze auf dem Haupt“ sei ihr erschienen, habe erklärt, dass sie dem thüringisch-sächsischen Adelsgeschlecht von Trebra entstamme und die Frau dazu aufgefordert, ihr zu folgen. Auf dem Gelände des ehemaligen Rittergutes und jetzigem Wohnsitz der Familie von Eberstein würde sich ein Schatz aus dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) befinden, der von einem schwarzen Hund bewacht werde und den es zu finden gelte. Als Gegenleistung für den Schatz forderte das Gespenst einen Grabstein mit seinem Namen Anna von Trebra und dem Wappen des Geschlechts. Als Philippina sich jedoch weigerte, dem Gespenst zu folgen, habe dieses sie geschlagen. Der Pfarrer bestätigte später, dass er am Körper der Adligen tatsächlich Verletzungen gesehen habe, die von Schlägen stammen könnten.

Überhaupt war es der Pfarrer, der der Geschichte unwissentlich zu einer weiteren Verbreitung verhalf, indem er sich ratsuchend an das Konsistorium in Eisleben, eine kirchliche Verwaltungsbehörde, wandte, um nachzufragen, wie er der Betroffenen helfen könnte. Die von seinem Gemeindemitglied geschilderte Begegnung mit dem Geist zweifelte er dabei keineswegs an und Geisterbewältigung stellte explizit eine Aufgabe der Geistlichkeit im Luthertum dar. Die Antwort, die Thalemann schließlich erhielt, offenbart viel über den Geisterglauben in einer von reformatorischen Entwicklungen geprägten Region der damaligen Zeit: Erneut wurden die Erlebnisse Philippinas kaum infrage gestellt, vielmehr wurden vor allem die Verletzungen als möglicher Beweis für die Existenz des Gespenstes betrachtet. Kritisiert wurde von den Autoritäten jedoch die Interpretation des Geistes als die Wiederkehr einer Verstorbenen. Unmöglich könne hier solch ein Fall vorliegen, da die Seelen der Verstorbenen in Frieden bei Gott seien. Vielmehr handle es sich bei Gespenstererscheinungen um Versuchungen des Teufels, denen es zu widerstehen oder Prüfungen des Glaubens, die es zu bestehen gelte. Pfarrer Thalemann wurde geraten, vermehrt für die Betroffene und mit ihr zusammen zu beten. Auch sollte er prüfen, warum gerade Philippina von Eberstein von der Gestalt heimgesucht werde. Hatte sie womöglich etwas zu verbergen, sich versündigt oder sich die Verletzungen gar selbst zugefügt? Darüber hinaus kontaktierte Thalemann die Theologische Fakultät der Universität Jena, um sich eine zweite Meinung einzuholen. In den Augen der hier tätigen Professoren gehörte der Geist zur „classe der bösen und sündlichen Geiser“, da er körperliche Gewalt anwenden würde. Die Erscheinung sei letztlich eine Prüfung des Glaubens der Adligen, bei welcher der Pfarrer sie wiederum durch Gebete unterstützen sollte. Zudem sollte sich Philippina immer in Gesellschaft von Menschen aufhalten, um zu verhindern, dass der Geist sich ihr erneut näherte. Ausgerüstet mit diesen beiden Gutachten kümmerte sich Thalemann nun vermehrt um Philippina, wobei er jedoch nie an ihrer Aufrichtigkeit zweifelte, sondern von Anfechtungen des Teufels ausging. Vor allem deshalb versuchte er sie davon zu überzeugen, sich nicht auf die Forderungen des Geistes einzulassen und keineswegs den Schatz zu heben. Trotz der Fürsorge des Pfarrers, der schließlich die gesamte Gemeinde aufforderte, für Philippina zu beten, verschlechterte sich deren Zustand. Den Quellen zufolge erschien ihr das Nonnengespenst nun täglich sowohl morgens als auch abends und ihren ganzen Körper zierten bald Blutergüsse und Schrammen. Mittlerweile hatte auch Graf Johann Georg III. zu Mansfeld-Eisleben (1640-1710) von den Ereignissen gehört und schlug vor, die gesamte Grafschaft für Philippina Fürbitte halten zu lassen. Noch wurde Protest gegen dieses Vorgehen geäußert, da viele Pfarrer fürchteten, ihre Gemeindemitglieder könnten von dem Geisterglauben „angesteckt werden“. Vor Ort musste Pfarrer Thalemann feststellen, dass Philippina begonnen hatte, Ratschläge von Dorfbewohnern anzunehmen, die ihr vorschlugen, das Gespenst das nächste Mal zu beschimpfen und abfällig zu behandeln.

Schließlich eskalierte die Situation im Januar, als Philippina und ihr Mann Georg den Ort verlassen wollten, ihr der Geist aber seine Mitreise ankündigte und Philippina mit der Pistole ihres Mannes auf diesen zu schießen versuchte. Noch einmal verschärften sich die Attacken. Nicht nur schlug sich Philippina nun vermehrt selbst, da ihr dies angeblich befohlen worden war, auch verletzte das Gespenst nun andere Personen, die jedoch aussagten, nichts gesehen, sondern nur die Schmerzen gefühlt zu haben. Als Konsequenz wurde die Fürbitte zwar nicht auf die ganze Grafschaft ausgeweitet, jedoch auf das Dekanat Artern, ein Gebiet von zehn Pfarreien. Explizit wurde in der Fürbitte die Existenz des Geistes als gegeben angenommen: „daß sie von einem geiste nicht allein mit seiner erscheinung tag und nacht geplaget […] sondern seinen mörderischen angriffen grausamer weise […] und schmertzlich gequälte wird.“ Interessanterweise genau am Sonntag nach Ostern 1684, einem Tag an dem in Gottesdiensten häufig das Ende von Besessenheiten verkündet wurde, verschwand das Nonnengespenst so plötzlich, wie es gekommen war, und Philippinas Zustand besserte sich.
 
Druck (1684): Wundersame Gespenste/ Welche sich dieses 1684. Jahr uf den Adel. Hause Gehofen/ in der Grafschaft Mansfeld gelegen/ der Frau von Eberstein/ gebohrner Wertherin/ Anfang als ein guter/ nunmehro aber/ als ein böser Geist/ noch täglich zeiget.
(http://archive.thulb.uni-jena.de/hisbest/receive/HisBest_cbu_00026508)
Bereits einen Monat später beauftragte der oben genannte Graf das Konsistorium mit der Verfassung eines Berichts über die Ereignisse. Noch bevor sich dieses jedoch an die Arbeit machen konnte, erschien bereits „Das Gehofische Gespenst“, dessen Verfasser nicht identifiziert werden konnte, der aber über eine gute Kenntnisse der Umstände verfügte. Dessen Werk war so erfolgreich, dass es schon nach wenigen Monaten in mehreren Auflagen vorlag und zudem die Veröffentlichung anderer Berichte mit derselben Thematik anregte. Philippinas Familie jedoch fühlte sich durch die hier vorliegenden Schilderungen geschädigt und verunglimpft: In der sechsseitigen Schrift wurde nämlich auf einen zwischen dem Geschlecht von Trebra und der Familie von Eberstein schwelenden Erbschaftsstreit um besagtes Rittergut angespielt, auf dem nun der Geist Annas von Trebra vermeintlich sein Unwesen trieb. Pfarrer Thalemann erstellte daraufhin einen weiteren Bericht, der näher an der Wahrheit sein und den Ruf der Familie wiederherstellen sollte. Nach langen Diskussionen mit dem Konsistorium konnte er diesen schließlich unter dem Titel „Eigentliche Beschreibung  Des Gehofischen Nonnen=Gespensts“ Ende 1684 in den Druck geben. 1687 verfasste er eine weitere Schrift, die sich mit den Geschehnissen befasste.

Beide Texte konnten jedoch nicht verhindern, dass auch noch Jahre nach Auftauchen des Geistes in Gehofen über die Besitzverhältnisse hinsichtlich des Gutes spekuliert wurde sowie über den Gesundheitszustands Philippinas, da sie als Einzige das Gespenst jemals zu Gesicht bekommen hatte. Für andere wurde sie einem beeindruckenden Beispiel für Standhaftigkeit, da sie die Probe ihres Glaubens vorbildlich bestanden hatte. Das Gehofische Nonnengespenst selbst war zwar seit Frühjahr 1684 nicht mehr gesehen worden, in Erzählungen lebte es jedoch weiter und sorgte für immer neuen Gesprächsstoff.

Zum Weiterlesen:
anonymer Bericht über das „Gehofische Gespenst“ (1684): http://de.wikisource.org/wiki/Das_Gehofische_Gespenst
Rieger, Miriam: Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2011.

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