Sonntag, 12. Oktober 2014

Thronfolge im Mittelalter II

Teil II: Individualsukzession & primogenitur

Die Ottonen – Der Beginn einer neuen Nachfolgeregelung
Als König Heinrich I. 919 als Nachfolger Konrads I. (911-918) zum König des Ostfrankenreichs gekrönt wurde (die Umstände der Nachfolge können hier nachgelesen werden), war das Prinzip der Reichsteilung, vorausgesetzt der König hatte mehrere Söhne, die Regel. Allerdings war dieses Prinzip kein niedergeschriebenes Gesetz, sondern vielmehr eine durch häufigen Gebrauch allgemein anerkannte Form der Erbnachfolge. Heinrich I. brach mit dieser Tradition, indem er bereits 929 Otto, seinen ältesten Sohn aus zweiter Ehe, zum alleinigen Nachfolger designierte. Doch warum brach Heinrich mit der Tradition? Und was passierte mit Heinrichs anderen drei Söhnen Thankmar, Heinrich und Brun?

Thankmar, geboren um 906 und Heinrichs ältester Sohn, stammte aus dessen erster Ehe mit Hatheburg von Merseburg. Er wurde bereits frühzeitig – wahrscheinlich aufgrund der 909 aufgelösten Ehe seiner Eltern. von der Nachfolge ausgeschlossen Da Heinrich es vor allem auf die Mitgift Hatheburgs abgesehen hatte, die aus der Merseburg und den dazugehörigen Ländereien bestand, ließ er die Ehe bereits wenige Jahre nach der Hochzeit von der Kirche für rechtswidrig erklären. Die weiteren drei Söhne stammten alle aus der Ehe mit Mathilde, Tochter des sächsischen Grafen Dietrich und Nachfahrin des Sachsenherzogs Widukind: Otto (*23. November 912), Heinrich (*919/922) und Brun (*925). Heinrich und Brun wurden für die Nachfolge nicht berücksichtigt: Während für Brun bereits im Alter von vier Jahren eine geistliche Laufbahn bestimmt wurde (er wurde später Erzbischof von Köln), ging Heinrich bei der Nachfolge tatsächlich leer aus. 

König Heinrich I. entschied sich wohl schon vor 929 bewusst für die Individualsukzession, also dafür, seine Nachfolge auf einen einzigen Sohn zu beschränken, und die primogenitur, das Recht des Erstgeborenen. Da Thankmar aus Heinrichs erster Ehe nicht infrage kam, entschied er sich mit Otto für seinen erstgeborenen Sohn aus der Ehe mit Mathilde. Es sei vorweggenommen, dass die Individualsukzession verbunden mit der primogenitur im Mittelalter seit Heinrich und dessen Sohn Otto in „Europa“ zur allgemeingültigen Form der Herrschaftsnachfolge wurde. Heinrich wählte dieses Prinzip aus zwei Gründen: Erstens hatte die Geschichte bis dahin bewiesen, dass eine Reichsteilung in den meisten Fällen zu blutigen Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Familie führte; zweitens sah er nicht genügend Substanz des Reiches um eine Herrschaftsteilung vorzunehmen, da die Herzöge des Ostfrankenreichs weitgehend eigenständig agierten. Heinrich agierte als primus inter pares, als Erster unter Gleichen, und legte Wert auf konsensuale Entscheidungen mit den Großen seines Reiches.

Die Designation Ottos ist in keiner Quelle wortwörtlich niedergeschrieben. Vielmehr gibt es jedoch Hinweise auf eine mehrstufige Entwicklung hin zu einer Designation:
1.      Otto wurde als iam olim designatus (schon vor längerem designiert) in der Sachsengeschichte Widukinds beschrieben;
2.      Otto stimmte ausdrücklich einer Urkunde, die die Witwenausstattung für seine Mutter  Mathilde vorsah, zu;
3.      Heinrich warb am angelsächsischen Königshof um eine geeignete Braut für Otto; König Ӕthelstan entsandte seine beiden Halbschwestern Edgith und Edgiva und Otto entschied sich für die Erstgenannte;
4.      in einem Verbrüderungsbuch der Klosterinsel Reichenau wurde Otto 929 bereits als rex tituliert: Heinricus rex, Mahthild reg, Otto rex, Heinricus, Prun (siehe Bild: rechte Spalte, ab dem vierten Namen von oben)

 
Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8d/Reichenauer_Verbr%C3%BCderungsbuch.jpg

Die Heirat mit Edgith ist ein weiterer Bruch mit der karolingischen Tradition, denn die Karolinger heirateten in der Regel in die Familien der Großen des eigenen Reiches. Dieser Bruch hatte den Vorteil, dass Heinrich innerhalb seines Reiches keine Partei ergreifen und sich nicht auf eine Familie festlegen musste. Darüber hinaus ermöglichte dieser Traditionsbruch seinem Sohn Otto, ohne Ansprüche und Verpflichtungen gegenüber den Großen des Reichs herrschen zu können. Daneben wurde die Dynastie der Ottonen auch international anerkannt.
Der Eintrag Otto rex im das Verbrüderungsbuch, in dem Stifter und Wohltäter des Klosters eingetragen wurden, zeigt am deutlichsten die abgeschlossene Designation Ottos. Seine Designation musste im Übrigen vorher von den Großen des Reichs absegnet werden, denn Heinrichs Regierungsstil (Konsens mit den Großen und primus inter pares) führte ja zwangsläufig dazu. Ohne die Zustimmung wäre eine Individualsukzession nicht möglich gewesen.

Der neu eingeschlagene Weg Heinrichs I. mittels der Individualsukzession und der primogenitur führte jedoch auch zu Unruhen. Obwohl Heinrich mit dieser Form der Herrschaftsnachfolge innerfamiliäre Auseinandersetzungen hatte umgehen wollen, kam es dennoch zwangsläufig zu solchen: Ottos Halbbruder Thankmar, sowohl bei der Thronnachfolge als auch bei der Markgrafennachfolge für die Sächsische Ostmark unberücksichtigt, verbündete sich mit dem Herzog Eberhard und rebellierte gegen Otto. Thankmar verlor diesen Konflikt jedoch und starb am 28. Juli 938 bei einer Belagerung der Eresburg. Aber auch Heinrich, Ottos jüngerer Bruder, der wie Thankmar bei der Nachfolge ebenfalls unberücksichtigt blieb, stellte sich dem König entgegen. Zusammen mit Ottos Schwager, Herzog Giselbert von Lothringen und Ludwig IV. (936-954), König des Westfrankenreichs, versuchte er Otto vom Thron zu verdrängen. Der erste Versuch scheiterte jedoch an der großen Überlegenheit Ottos. Heinrich kam in eine ehrenvolle Haft und blieb unter Ottos Aufsicht. Wenig später jedoch fasste er den Plan Otto während des traditionellen Osterfestes im Jahre 941 in der Königspfalz bei Quedlinburg zu ermorden. Doch auch dieser Versuch scheiterte. König Otto I. ließ Milde walten und Heinrich kam erneut in ehrenvolle Haft. Nach seiner Begnadigung zu Weihnachten desselben Jahres wurde Heinrich einer der wichtigsten Berater seines Bruders und erhielt 948 schließlich das Herzogtum Bayern. 


Literaturhinweise:
Gerd ALTHOFF, Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, Stuttgart ³2012.
Matthias BECHER, Otto der Große, München 2012.
Woflgang GIESE, Heinrich I., Begründer der ottonischen Herrschaft,  Darmstadt 2008.

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