Im Bestand der Beinecke Rare
Book and Manuscript Library der Universität Yale befindet sich seit
1969 ein geheimnisvolles Manuskript, das bis heute trotz zahlreicher Versuche
weder in seiner Bedeutung noch in seinem Inhalt entschlüsselt werden konnte –
vorausgesetzt, es gibt überhaupt einen sinnvollen Inhalt, der erschlossen
werden kann. Auch die genaue Herkunft und Entstehung des Manuskripts ist unklar
und konnte seit Jahrhunderten nicht in allen Details geklärt werden. Bis heute
hält das sogenannte Voynich-Manuskript mehr Fragen als Antworten bereit und
unser neuester Artikel verfolgt das Ziel, diese vorzustellen und die bisherige
wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Dokument im Hinblick auf seine
Geschichte, seine Inhalte und die Versuche seiner Entschlüsselung
nachzuvollziehen.
Abbildung
aus der astronomischen Sektion (f. 68r)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0f/68r.jpg
Nach heutigem Kenntnisstand und ausgehend von einer Radiokarbonanalyse, die im Jahr 2009 in Chicago durchgeführt wurde, geht man davon aus, dass das für das Manuskript verwendete Pergament zwischen 1404 und 1438 entstanden ist. Auch konnten weitere Analysen nachweisen, dass die benutzte Tinte bereits wenige Jahre nach der Entstehung des Pergaments aufgetragen worden sein muss. Aufgrund dieser Erkenntnisse und bestimmter typischer zeitlicher Merkmale der Illustrationen wird die Entstehung des Voynich-Manuskripts momentan auf die Jahre 1450 bis 1520 datiert. Als Entstehungsort wird Norditalien vermutet.
Was die verschiedenen Besitzer des
Manuskripts angeht, so sind auch diese nicht immer klar zu identifizieren
beziehungsweise als wirkliche Besitzer nachzuweisen. Als relativ sicher gilt,
dass sich das Manuskript einmal im Besitz von Kaiser Rudolf II. (1552-1612)
befunden haben muss. Rudolf II. interessierte sich für Kunst und zahlreiche
Wissenschaften, darunter die Alchemie, und er soll das Manuskript einem
unbekannten Händler abgekauft haben. Gerüchten zufolge glaubte er, dass der englische
Franziskanermönch und Philosoph Roger Bacon (um 1220-1292) dieses verfasst
habe. Dies kann durch Datierung des Pergaments jedoch ausgeschlossen werden, es
sei denn, dass hier ein bislang nicht bekannter Text Bacons erneut
abgeschrieben worden ist. Nach dem käuflichen Erwerb und der Feststellung, dass
er die Inhalte des Manuskripts nicht erschließen konnte, soll Rudolf II. es
seinem Hofpharmazeuten Jakub Horčický z Tepence (um 1575-1622) zur genaueren
Untersuchung hinterlassen haben. Diese Übertragung gilt als belegt, da das
Manuskript den Namenseintrag Jacobj ’a Tepenece aufweist.
Auf bislang nicht nachvollziehbaren
Wegen gelangte das Manuskript dann in den Besitz des Antiquitätensammlers und
Alchemisten Georg Baresch (1585-1662) in Prag. Auch Baresch konnte den Text
nicht entschlüsseln, weshalb er sich mindestens einmal, das Jahr 1639 ist
hierfür belegt, in einem Brief an den jesuitischen Universalgelehrten
Athansasius Kircher (1602-1680) wandte, ihm eine Kopie des Manuskripts zukommen
ließ und ihn um Unterstützung bei der Entschlüsselung bat. Kircher galt unter
seinen Zeitgenossen als Experte für die Entschlüsselung geheimnisvoller Texte
und rühmte sich fälschlicherweise damit, die Hieroglyphen der Ägypter
entschlüsselt zu haben. Auf die Schreiben Bareschs reagierte er jedoch nicht.
Georg Baresch vererbte das Manuskript einem befreundeten Naturwissenschaftler,
Johannes Marcus Marci (1595-1667), der nun Kircher 1666 erneut um Hilfe
bei der Entschlüsselung bat und ankündigte, ihm auch das Original zukommen zu
lassen. Ob er dies auch wirklich tat, ist unklar.
Der polnische Antiquar Wilfrid
Michael Voynich (1865-1930) – nach dem das Manuskript benannt ist – erwarb es
1912 käuflich aus den Beständen des 1865 gegründeten Jesuitenkollegs Nobile
Collegio Mondragone, das circa 20 Kilometer südöstlich von Rom liegt.
Womöglich befand es sich davor in Kirchers Besitz und später in dessen Nachlass
und somit in den Beständen des Jesuitenordnens in der Bibliothek des Collegium
Romanum. Um der Konfiskation kirchlichen Eigentums zu entgehen, wurden im
Jahr 1870 zahlreiche Bücher aus dieser Bibliothek in privaten Besitz übergeben.
Kirchers Nachlass ging an den damaligen Ordensgeneral Pierre Jean Beckx
(1795-1887) und dieser war nachweislich ein Besitzer des Manuskripts, da dieses
einen Stempel mit seinem Namen trägt. Voynich beschrieb seine erste Begegnung
mit dem Manuskript im Rückblick folgendermaßen: „In 1912 [...] I came across
a most remarkable collection of precious illuminated manuscripts. [...] While
examining the manuscripts, with a view to the acquisition of at least a part of
the collection, my attention was especially drawn by one volume. It was such an
ugly duckling compared with the other manuscripts, with their rich decorations
in gold and colors, that my interest was aroused at once. I found that it was written
entirely in cipher. […] Although I could not be certain of its authorship,
the fact that this was a thirteenth century manuscript in cipher convinced me
that it must be a work of exceptional importance, and to my knowledge the
existence of a manuscript of such an early date written entirely in cipher was
unknown, so I included it among the manuscripts which I purchased from this
collection.“ Voynich vererbte das Manuskript seiner Ehefrau und
seiner Sekretärin. Letztere
verkaufte es nach dem Tod der Frau 1961 an einen amerikanischen Buchhändler.
Dieser wiederum stiftete das Dokument 1969 der Yale-Universität.
Das Voynich-Manuskript besteht zum
jetzigen Zeitpunkt noch aus 102 zusammengehefteten Blättern Pergament. Aufgrund
einer früheren Zählung der Seiten weiß man jedoch, dass es einst aus 116 Blatt
bestanden haben muss. Zusätzlich weist es weder einen Titel noch einen Hinweis
auf einen Autor auf. Jedoch finden sich in ihm eine Vielzahl von kolorierten
Abbildungen, die noch vor dem Text aufgetragen worden sein müssen, da der Text diesen
in seiner Form angepasst zu sein scheint. Der Text wurde von links nach rechts von
einem vermutlich geübten Schreiber geschrieben und es scheint eine Wort- und
Absatzstruktur erkennbar zu sein. Die Länge der Wörter, insgesamt circa 35.000,
und ihre Struktur der Wiederholung weisen jedoch keine Ähnlichkeiten zu einer heute
noch gesprochenen europäischen Sprache auf. Die vorhandenen Illustrationen und
ihre Interpretationen wurden jedoch zum Ausgangspunkt genommen, um auf eine
Gliederung des Manuskripts in folgende Abschnitte zu schließen: eine
kräuterkundliche Sektion mit Abbildung von Pflanzen, die an bekannte Pflanzen
erinnern; eine astronomische Sektion mit Bildern und Diagrammen der Sonne, des
Mondes und von Sternen sowie eine unvollständige Auflistung der
Tierkreiszeichen; eine anatomisch-balneologische Sektion mit rätselhaften
Abbildungen nackter badender Frauen, deren Wannen teilweise durch Röhren
miteinander verbunden sind; eine kosmologische Sektion mit verschiedenen
abgebildeten Rosetten, eine pharmazeutische Sektion, wiederum mit Abbildungen
von Pflanzen und bunten Gefäßen und schließlich Textabschnitte, bei denen man
vermutet, dass es sich um Rezepte für die Herstellung von Medikamenten handeln
könnte.
Eine
Abbildung aus der anatomisch-balneologischen Sektion
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f4/Voynich-partof_f78r.jpg
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Ganz am Ende des Manuskripts findet
sich ein dreizeiliger Text, der womöglich der Schlüssel zur bislang nicht
gelungenen Decodierung sein könnte. In diesem Zusammenhang wurde auch bereits
versucht, ein Alphabet zu erstellen, da das Manuskript zwischen 20 bis 30
wiederkehrende Zeichen aufweist. Das aktuelle Voynich-Alphabet sieht so aus,
allerdings ist die Transkription und Übertragung für keinen der Buchstaben
letztlich gesichert:
European
Voynich Alphabet
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e1/Voynich_EVA.svg
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Während Wilfrid Voynich sich selbst
nicht an der Entschlüsselung des Manuskripts versuchte, verschickte er jedoch
seit 1919 einzelne kopierte Seiten an verschiedene Wissenschaftler und Experten
der Kryptografie, die die verschiedensten Versuche unternahmen, den Text zu
entschlüsseln, die Autorschaft Bacons nachzuweisen und dabei zu den
unterschiedlichsten Lösungsansätzen gelangten: William Romaine Newbold, Dozent
für Philosophie in Philadelphia, vermutete eine im Manuskript in leicht
abweichenden Buchstaben versteckte Mikroschrift aus altgriechischen
Kurzschriftzeichen. Auch noch weit nach seinem Tod im Jahr 1926 wurde er zum
Teil heftig kritisiert und der Verdacht der versteckten Mikroschrift letztlich
widerlegt. Joseph Martin Feely, seines Zeichen Jurist, arbeitete nur mit einer
einzigen kopierten Seite des Manuskripts und vermutete als ursprüngliche
Sprache des Textes Latein. Das lateinische Alphabet sei dann durch
Voynich-Zeichen substituiert und gleichzeitig gekürzt worden. Seine
Entschlüsselungen ergaben jedoch keine sinnvollen und lesbaren Resultate. Der
Botaniker Hugh O’Neill versuchte sich wiederum an der Identifikation der
abgebildeten Pflanzen und glaubte, eine Sonnenblume und eine Art des Spanischen
Pfeffers zu erkennen. Beide Pflanzen waren jedoch erst nach 1492 nach Europa
gelangt, so dass dies eine Autorschaft Bacons unmöglich machen würde. Der
US-Kryptologe William Friedman versteckte Ende der 1950er-Jahre in einem seiner
Aufsätze in einer Fußnote ein Anagramm, das entschlüsselt folgende Hypothese
beinhaltete: „The Voynich MSS was an early attempt to construct an
artificial or universal language of the a priori type.“ Eine solche
konstruierte künstliche oder universelle Sprache kann in den meisten Fällen nur
dann entschlüsselt werden, wenn ihr Konstruktionsprinzip bekannt ist, was im
Fall des Voynich-Manuskripts nicht der Fall ist. Womöglich könnte ein solches tatsächlich
verloren gegangen sein. Robert S. Brumbaugh, Professor für Philosophie des
Mittelalters in Yale und somit in der Lage vor Ort mit dem Originalmanuskript
zu arbeiten, vermutete ebenfalls, wie zuvor bereits Feely, ein
Substitutionsprinzip. Er ging davon aus, dass die Zeichen im Manuskript alte
Ziffernformen seien, von denen jede mehrere Buchstaben des lateinischen
Alphabetes ersetze. Doch auch seine Entschlüsselungen ergaben keinen sinnvollen
Inhalt. Andere ForscherInnen kamen zu dem Schluss, dass es sich bei dem
Manuskript um einen mittelalterlichen Scherz handeln könnte und es keinen
sinnvollen Inhalt zu entschlüsseln gebe, sondern mögliche Leser bewusst vor ein
Rätsel gestellt werden sollten. Gegen diese Vermutung spricht der große Aufwand
bei der Erstellung des Manuskripts sowie die Kosten für Pergament und Tinte.
Insbesondere seit Beginn des 21.
Jahrhunderts mit seinen technischen Möglichkeiten wird sich wieder vermehrt mit
dem Manuskript beschäftigt. Seitdem wurde unter anderem vermutet, dass der Text
in einer nicht mehr gesprochenen mittelamerikanischen Sprache verfasst worden
sein könnte oder aus der Gegend um Mailand stammen könnte. Auch über Hebräisch
als Sprache wurde diskutiert in Verbindung mit der Theorie, dass den einzelnen
Wörtern Vokale fehlen würden und diese insgesamt Anagramme seien. Doch auch mit
diesem Ansatz konnte der Text nicht entschlüsselt werden. In diesem Jahr
behauptete Gerard Cheshire, Wissenschaftler an der Universität Bristol, dass
der Text in einer proto-romanischen Sprache geschrieben sei und er legte
Entschlüsselungen für einzelne Passagen vor. Er identifizierte das Manuskript
als ein Handbuch für das höfische Leben im Spätmittelalter, datierte seine
Entstehung auf die Jahre 1445 bis 1448 und ging davon aus, dass eine
dominikanische Nonne die Verfasserin sei, die den Text im Auftrag der Königin
von Aragón Maria von Kastilien (1401-1458) geschrieben habe. Doch auch seine Interpretation
stieß schnell auf Kritik und konnte sich nicht durchsetzen. Somit existiert das
Rätsel weiter und es muss offenbleiben, ob das Manuskript jemals wird
entschlüsselt werden können.
Zum Weiterlesen:
D’Imperio,
Mary E.: The Voynich Manuscript. An
Elegant Enigma, Laguna Hills CA 1978. Heiduk, Matthias: Roger Bacon und die
Geheimwissenschaften. Ein Grenzfall für die Wissenschaftskonzeptionen von
Zeitgenossen und Nachwelt, in: Martin Mulsow u. Frank Rexroth (Hgg.): Was als
wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus
der Vormoderne, Frankfurt am Main u. a. 2014, S. 109-138.
Janick, Jules; Tucker, Arthur O.:
Unraveling the Voynich Codex, Cham 2018.
Roitzsch, Erich H. Peter: Das
Voynich-Manuskript. Ein ungelöstes Rätsel der Vergangenheit, Münster 2008.
Voynich,
Wilfrid M.: A Preliminary Sketch of the History of the Roger Bacon Cipher
Manuscript, in: Transactions & Studies of the College of Physicians of
Philadelphia 43 (1921), S. 415-430.
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