Sonntag, 15. Mai 2016

„Wie Phönix aus der Asche“ – Geschichte und Ursprung des mythischen Vogels

Hätte mir gerade noch gefehlt, wenn Dumbledores Vogel stirbt, während ich allein mit ihm bin, dachte Harry gerade - als der Vogel in Flammen aufging. […] [F]ieberhaft schaute er sich um, ob es nicht irgendwo ein Glas Wasser gäbe, aber er sah keines; der Vogel war mittlerweile ein Feuerball geworden; er gab einen lauten Schrei von sich und schon war nichts mehr von ihm übrig als ein schwelender Haufen Asche auf dem Boden. Die Bürotür ging auf und Dumbledore kam mit ernstem Gesichtsausdruck herein. »Professor«, keuchte Harry, »Ihr Vogel - ich konnte nichts machen - er hat einfach Feuer gefangen.« Zu Harrys Verblüffung lächelte Dumbledore. […] »Fawkes ist ein Phönix, Harry. Phönixe gehen in Flammen auf, wenn es an der Zeit für sie ist zu sterben, und werden aus der Asche neu geboren. Sieh mal ...« Harry sah gerade noch rechtzeitig hin, um einen winzigen, verschrumpelten, neugeborenen Vogel den Kopf aus der Asche stecken zu sehen. Er war genauso hässlich wie der alte. »Ein Jammer, dass du ihn an einem Brandtag sehen musstest«, sagte Dumbledore und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Eigentlich ist er die meiste Zeit sehr hübsch, herrlich rot und gold gefiedert. Faszinierende Geschöpfe, diese Phönixe. Sie können unglaublich schwere Lasten tragen, ihre Tränen haben heilende Kraft und sie sind außerordentlich treue Haustiere.«“ 
(Rowling, Joanne K., Harry Potter und die Kammer des Schreckens, Hamburg 1999, S. 215-216)

Dieser Abschnitt beschreibt die erste Begegnung Harry Potters mit dem Phönix Fawkes in J.K. Rowlings „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“. Im weiteren Verlauf des Bandes, aber auch der ganzen Buchreihe, kommt dem Phönix Fawkes eine zwar kleine, aber auf keinen Fall zu unterschätzende Rolle zu. Durch seine besonderen Fähigkeiten rettet er nicht nur dem Protagonisten der Serie, sondern auch seinem Besitzer Albus Dumbledore das Leben und tritt immer wieder im entscheidenden Moment auf, um alles zum Guten zu wenden.

Im dritten Artikel unseres Themenmonates ‚Tiere und Fabelwesen‘ wollen wir uns mit den überlieferten Eigenschaften des Phönix beschäftigen, von denen auch J. K. Rowling einige im oben zitierten Abschnitt aufgreift und versuchen, uns dem Ursprung des legendären Vogels zu nähern.


Bild des benu, einer ägyptischen Gottheit bzw. mythischen Gestalt, die als ursprüngliche Form des Phönix gelten kann. (https://de.wikipedia.org/wiki/Benu#/media/File:Bennu_bird.svg)
Die Suche nach den Ursprüngen des Phönix‘ führt ins alte Ägypten. Dort gab es einen legendären Vogel, der den Namen benu (der Wiedergeborene, Erstgeborene) trug. Den Mythen zufolge erschien er nur selten, oftmals erst nach jahrhundertelanger Abwesenheit in Heliopolis, der Stadt des Sonnengottes, wo er bei Sonnenaufgang verbrannte, nur um dann verjüngt aus seiner eigenen Asche wieder aufzuerstehen. Von Ägypten aus breiteten sich Erzählungen über den Phönix zunächst nach Osten über Persien bis nach China aus. Dort wurde von einem Vogel namens feng huang berichtet, der stärker einem Pfau als einem Kranich ähnelte und sich durch rotes Gefieder, einen dünnen Hals und lange Beine auszeichnete. Legenden zufolge konnte er ein hohes Alter von bis zu 1000 Jahren erreichen. Er symbolisierte Glück, Barmherzigkeit und großzügige Hilfe und war mit diesen Eigenschaften der Kaiserin zugeordnet. Zudem galt er als Zeichen von Treue und himmlischer Gunst, das nur Auserwählten erscheint. Er soll neben dem Einhorn, dem Drachen und der Schildkröte eines der vier Wesen sein, die die Welt erschaffen haben.

Der antike Geschichtsschreiber Herodot (490/480 v. Chr - ca. 424 v. Chr.) brachte den Mythos des Vogels schließlich aus Ägypten nach Griechenland, von wo aus er sich weiter nach Westen ausbreitete. Hier gab man dem Vogel den Namen phoinix (flammendes Rot).

Zwar gibt es keine einheitliche Überlieferung über die Eigenschaften des Phönix, doch setzten sich einige Merkmale in der Erzähltradition durch: Er wird immer als herausragend schöner Vogel beschrieben, der sich teilweise auch durch königliche Attribute als Herrscher der Vögel auszeichnet. So beschreibt ihn beispielsweise der Physiologus (frühchristliche Naturlehre aus dem 2. bis 4. Jahrhundert nach Christus) als einen Vogel „von Gestalt schöner als ein Pfau. Denn der Pfau wirkt durch das Grün und Gold der Farbe seiner Federn, der Phönix aber durch Hyazinthe und Smaragde und kostbare Steine, er trägt ein Krönchen auf dem Kopf und auf den Füßen eine Kugel wie ein König“ (Physiologus 7, zitiert nach Drostel, Janina, Einhorn, Drache, Basilisk, S. 115). Auch gibt es den meisten Überlieferungen zufolge nur einen einzigen Phönix, der sich in einem bestimmten Rhythmus, dessen Dauer, je nach Quelle, von 50 bis über 10 000 Jahre reicht, in einer Zeremonie aus Feuer neu erschafft. Obwohl das Gefieder des Vogels nicht von Anfang an rot dargestellt wurde, so galt es doch schon immer als herausragend schön und prachtvoll.

Betrachtet man die Symbolik des Phönix‘, so finden in ihm klar die alten Menschheitsträume nach Wiederauferstehung und Erneuerung Ausdruck. Auf römischen Kaisermünzen stand er für die Unvergänglichkeit Roms und auch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit erfreute sich der Phönix als Wappentier einiger Beliebtheit. Auch hier symbolisierte er die klassisch mit ihm verbundenen Elemente der Wiedergeburt und Unsterblichkeit, aber auch das Feuer.

Wappen derer von Hohenlohe im Wappenbuch Johann Siebmachers, 1605, https://de.wikipedia.org/wiki/Ph%C3%B6nix_%28Wappentier%29#/media/File:Siebmacher014-Hohenlohe.jpg.
Bald nach der Christianisierung Roms geriet der Phönix zunächst ein wenig in Vergessenheit. Erst in der Renaissance mit ihrer Hinwendung zu antiken Schriften entdeckten Mönche den Vogel wieder und wussten das mythische Tier für sich zu vereinnahmen und in christliche Bilder zu überführen. So war der Tod in den Flammen und die anschließende Wiederauferstehung des Phönix eine passende Allegorie für Jesus Christus, zum anderen erkannte man darin auch den Feuertod der Märtyrer während der antiken Christenverfolgung. Auch die Reinigung der Gläubigen im Fegefeuer und ihre anschließende Auferstehung am jüngsten Tag wurde im Phönix gesehen. Zudem galt er im Christentum als Symbol für Jungfräulichkeit und Keuschheit, da es ja nur einen einzigen seiner Art gegeben haben soll, und wurde dadurch mit der Jungfrau Maria in Verbindung gebracht.

Mit der Frage nach dem realen Ursprung des Phönix‘ beschäftigt sich auf interessante Art und Weise der Zoologe Joseph H. Reichholf in seinem Buch „Einhorn, Phönix, Drache. Woher unsere Fabeltiere kommen“. Er stellt die These auf, dass dem Phönix eigentlich die afrikanischen Flamingos zugrunde liegen und begründet dies, indem er die in Quellen überlieferten Eigenschaften und Lebensweisen des Phönix mit denen real existierender Flamingos vergleicht. 

                                                      Der Flamingo als Vorlage des Phönix? 
https://commons.wikimedia.org/wiki/Phoenicopteridae?uselang=de#/media/File:Flamingo_Flying.jpg. 
Die offensichtlichste Parallele ist natürlich das rote Gefieder, das beide Vögel gemeinsam haben, aber auch die Größe, der lange Hals und die langen Beine verbinden sie. Doch weisen die Flamingos auch eine verstärkte Flugaktivität zu Sonnenauf- und -untergang auf – genau die Tageszeiten, die auch mit dem Phönix in Verbindung gebracht werden. Sie ziehen auf der Suche nach flachen, salzhaltigen Gewässern, in denen sie genügend Nahrung finden, um zu brüten, in großen Schwärmen umher und können dabei weite Strecken zurücklegen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie bei günstigen Witterungsverhältnissen bis nach Zentralasien und Westchina gelangen. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass sie in unregelmäßigen Abständen bestimmte Orte aufsuchen und oftmals lange abwesend sind, wenn das Wetter die Brut nicht zulässt. Wenn die Flamingos eine geeignete Brutstätte gefunden haben, bauen sie dort kegelförmige Nester aus Schlamm, in denen sie jeweils ein Ei ausbrüten, aus dem ein grauer Jungvogel schlüpft, dessen prachtvolles Gefieder sich erst mit der Zeit entwickelt. Auch für die Entstehung des Mythos von der Verbrennung des Phönix findet Reichholf eine Erklärung: Flamingos brüten meist auf abgelegenen Inseln in flachen Gewässern. Ist die Brutzeit vorüber und beginnen die Gewässer von der Hitze auszutrocknen, so ziehen sie weiter. Bis die schlammige Umgebung allerdings trocken genug ist, dass Menschen zu den Brutstätten gelangen können, finden sich dort nur noch von der Hitze vertrocknete und verbrannte Überreste: Eierschalen, unausgebrütete Eier, aber auch die verwesenden Körper von verstorbenen Jung- und Altvögeln. Zudem ähneln die kegelförmigen Schlammnester durchaus Aschehaufen. Man kann sich also vorstellen, wie ein verlassener Brutplatz auf die Menschen im alten Ägypten gewirkt haben muss. Als weitere mögliche Vorlage für den Phönix sieht Reichholf den afrikanischen Kronenkranich. Diese Theorie wird dadurch gestützt, dass Darstellungen des ägyptischen benu wie oben gesehen mehr einem Kranich als einem Flamingo gleichen.

Oder kann man den Ursprung des Phönix eher im Kronenkranich vermuten? https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ce/Bird-neskaya.JPG
Ob der Phönix seine Vorlage nun im Kronenkranich, dem Flamingo oder an ganz anderer Stelle fand, wird abschließend wohl nicht zu klären sein. Ohne Zweifel ist er jedoch eines der bekanntesten Fabelwesen, das sich bis in die Gegenwart durch eine starke Symbolik auszeichnet. Nicht umsonst sagt man auch heute noch bei der Rückkehr von Totgeglaubten, sie seien „wie Phönix aus der Asche“ wieder aufgestiegen.

Zum Weiterlesen:
- Drostel, Janina, Drache, Einhorn, Basilisk. Fabelhafte Fabelwesen, Ostfildern 2007.
- Reichholf, Josef H., Einhorn, Phönix, Drache. Woher unsere Fabeltiere kommen, Frankfurt am Main 2012.

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