„Hätte
mir gerade noch gefehlt, wenn Dumbledores Vogel stirbt, während ich allein mit
ihm bin, dachte Harry gerade - als der Vogel in Flammen aufging. […] [F]ieberhaft
schaute er sich um, ob es nicht irgendwo ein Glas Wasser gäbe, aber er sah
keines; der Vogel war mittlerweile ein Feuerball geworden; er gab einen lauten
Schrei von sich und schon war nichts mehr von ihm übrig als ein schwelender
Haufen Asche auf dem Boden. Die Bürotür ging auf und Dumbledore kam mit ernstem
Gesichtsausdruck herein. »Professor«, keuchte Harry, »Ihr Vogel - ich konnte
nichts machen - er hat einfach Feuer gefangen.« Zu Harrys Verblüffung lächelte
Dumbledore. […] »Fawkes ist ein Phönix, Harry. Phönixe gehen in Flammen auf,
wenn es an der Zeit für sie ist zu sterben, und werden aus der Asche neu
geboren. Sieh mal ...« Harry sah gerade noch rechtzeitig hin, um einen
winzigen, verschrumpelten, neugeborenen Vogel den Kopf aus der Asche stecken zu
sehen. Er war genauso hässlich wie der alte. »Ein Jammer, dass du ihn an einem
Brandtag sehen musstest«, sagte Dumbledore und setzte sich hinter seinen
Schreibtisch. »Eigentlich ist er die meiste Zeit sehr hübsch, herrlich rot und
gold gefiedert. Faszinierende Geschöpfe, diese Phönixe. Sie können unglaublich
schwere Lasten tragen, ihre Tränen haben heilende Kraft und sie sind
außerordentlich treue
Haustiere.«“
(Rowling, Joanne K., Harry Potter und
die Kammer des Schreckens, Hamburg 1999, S. 215-216)
Dieser Abschnitt beschreibt die erste
Begegnung Harry Potters mit dem Phönix Fawkes in J.K. Rowlings „Harry Potter
und die Kammer des Schreckens“. Im weiteren Verlauf des Bandes, aber auch der
ganzen Buchreihe, kommt dem Phönix Fawkes eine zwar kleine, aber auf keinen
Fall zu unterschätzende Rolle zu. Durch seine besonderen Fähigkeiten rettet er
nicht nur dem Protagonisten der Serie, sondern auch seinem Besitzer Albus
Dumbledore das Leben und tritt immer wieder im entscheidenden Moment auf, um
alles zum Guten zu wenden.
Im dritten Artikel unseres Themenmonates
‚Tiere und Fabelwesen‘ wollen wir uns mit den überlieferten Eigenschaften des
Phönix beschäftigen, von denen auch J. K. Rowling einige im oben zitierten
Abschnitt aufgreift und versuchen, uns dem Ursprung des legendären Vogels zu nähern.
Bild des benu, einer ägyptischen Gottheit bzw.
mythischen Gestalt, die als ursprüngliche Form des Phönix gelten kann.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Benu#/media/File:Bennu_bird.svg)
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Die Suche nach den Ursprüngen des Phönix‘
führt ins alte Ägypten. Dort gab es einen legendären Vogel, der den Namen benu (der Wiedergeborene, Erstgeborene)
trug. Den Mythen zufolge erschien er nur selten, oftmals erst nach jahrhundertelanger
Abwesenheit in Heliopolis, der Stadt des Sonnengottes, wo er bei Sonnenaufgang
verbrannte, nur um dann verjüngt aus seiner eigenen Asche wieder aufzuerstehen.
Von Ägypten aus breiteten sich Erzählungen über den Phönix zunächst nach Osten
über Persien bis nach China aus. Dort wurde von einem Vogel namens feng huang berichtet, der stärker einem
Pfau als einem Kranich ähnelte und sich durch rotes Gefieder, einen dünnen Hals
und lange Beine auszeichnete. Legenden zufolge konnte er ein hohes Alter von
bis zu 1000 Jahren erreichen. Er symbolisierte Glück, Barmherzigkeit und
großzügige Hilfe und war mit diesen Eigenschaften der Kaiserin zugeordnet. Zudem
galt er als Zeichen von Treue und himmlischer Gunst, das nur Auserwählten
erscheint. Er soll neben dem Einhorn, dem Drachen und der Schildkröte eines der
vier Wesen sein, die die Welt erschaffen haben.
Der antike Geschichtsschreiber Herodot
(490/480 v. Chr - ca. 424 v. Chr.) brachte den Mythos des Vogels schließlich
aus Ägypten nach Griechenland, von wo aus er sich weiter nach Westen
ausbreitete. Hier gab man dem Vogel den Namen phoinix (flammendes Rot).
Zwar gibt es keine einheitliche
Überlieferung über die Eigenschaften des Phönix, doch setzten sich einige
Merkmale in der Erzähltradition durch: Er wird immer als herausragend schöner
Vogel beschrieben, der sich teilweise auch durch königliche Attribute als
Herrscher der Vögel auszeichnet. So beschreibt ihn beispielsweise der
Physiologus (frühchristliche Naturlehre aus dem 2. bis 4. Jahrhundert nach
Christus) als einen Vogel „von Gestalt schöner als ein Pfau. Denn der Pfau
wirkt durch das Grün und Gold der Farbe seiner Federn, der Phönix aber durch
Hyazinthe und Smaragde und kostbare Steine, er trägt ein Krönchen auf dem Kopf
und auf den Füßen eine Kugel wie ein König“ (Physiologus 7, zitiert nach
Drostel, Janina, Einhorn, Drache, Basilisk, S. 115). Auch gibt es den meisten
Überlieferungen zufolge nur einen einzigen Phönix, der sich in einem bestimmten
Rhythmus, dessen Dauer, je nach Quelle, von 50 bis über 10 000 Jahre reicht, in
einer Zeremonie aus Feuer neu erschafft. Obwohl das Gefieder des Vogels nicht
von Anfang an rot dargestellt wurde, so galt es doch schon immer als
herausragend schön und prachtvoll.
Betrachtet man die Symbolik des Phönix‘,
so finden in ihm klar die alten Menschheitsträume nach Wiederauferstehung und
Erneuerung Ausdruck. Auf römischen Kaisermünzen stand er für die
Unvergänglichkeit Roms und auch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit erfreute
sich der Phönix als Wappentier einiger Beliebtheit. Auch hier symbolisierte er
die klassisch mit ihm verbundenen Elemente der Wiedergeburt und
Unsterblichkeit, aber auch das Feuer.
Wappen derer von Hohenlohe im Wappenbuch
Johann Siebmachers, 1605, https://de.wikipedia.org/wiki/Ph%C3%B6nix_%28Wappentier%29#/media/File:Siebmacher014-Hohenlohe.jpg.
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Bald nach der Christianisierung Roms geriet
der Phönix zunächst ein wenig in Vergessenheit. Erst in der Renaissance mit
ihrer Hinwendung zu antiken Schriften entdeckten Mönche den Vogel wieder und wussten
das mythische Tier für sich zu vereinnahmen und in christliche Bilder zu
überführen. So war der Tod in den Flammen und die anschließende
Wiederauferstehung des Phönix eine passende Allegorie für Jesus Christus, zum
anderen erkannte man darin auch den Feuertod der Märtyrer während der antiken
Christenverfolgung. Auch die Reinigung der Gläubigen im Fegefeuer und ihre
anschließende Auferstehung am jüngsten Tag wurde im Phönix gesehen. Zudem galt
er im Christentum als Symbol für Jungfräulichkeit und Keuschheit, da es ja nur
einen einzigen seiner Art gegeben haben soll, und wurde dadurch mit der
Jungfrau Maria in Verbindung gebracht.
Mit der Frage nach dem realen Ursprung
des Phönix‘ beschäftigt sich auf interessante Art und Weise der Zoologe Joseph
H. Reichholf in seinem Buch „Einhorn, Phönix, Drache. Woher unsere Fabeltiere
kommen“. Er stellt die These auf, dass dem Phönix eigentlich die afrikanischen
Flamingos zugrunde liegen und begründet dies, indem er die in Quellen
überlieferten Eigenschaften und Lebensweisen des Phönix mit denen real
existierender Flamingos vergleicht.
Der Flamingo als Vorlage des
Phönix?
https://commons.wikimedia.org/wiki/Phoenicopteridae?uselang=de#/media/File:Flamingo_Flying.jpg.
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Die offensichtlichste Parallele ist
natürlich das rote Gefieder, das beide Vögel gemeinsam haben, aber auch die
Größe, der lange Hals und die langen Beine verbinden sie. Doch weisen die
Flamingos auch eine verstärkte Flugaktivität zu Sonnenauf- und -untergang auf –
genau die Tageszeiten, die auch mit dem Phönix in Verbindung gebracht werden.
Sie ziehen auf der Suche nach flachen, salzhaltigen Gewässern, in denen sie
genügend Nahrung finden, um zu brüten, in großen Schwärmen umher und können
dabei weite Strecken zurücklegen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass sie bei
günstigen Witterungsverhältnissen bis nach Zentralasien und Westchina gelangen.
Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass sie in unregelmäßigen Abständen
bestimmte Orte aufsuchen und oftmals lange abwesend sind, wenn das Wetter die
Brut nicht zulässt. Wenn die Flamingos eine geeignete Brutstätte gefunden
haben, bauen sie dort kegelförmige Nester aus Schlamm, in denen sie jeweils ein
Ei ausbrüten, aus dem ein grauer Jungvogel schlüpft, dessen prachtvolles
Gefieder sich erst mit der Zeit entwickelt. Auch für die Entstehung des Mythos
von der Verbrennung des Phönix findet Reichholf eine Erklärung: Flamingos
brüten meist auf abgelegenen Inseln in flachen Gewässern. Ist die Brutzeit
vorüber und beginnen die Gewässer von der Hitze auszutrocknen, so ziehen sie
weiter. Bis die schlammige Umgebung allerdings trocken genug ist, dass Menschen
zu den Brutstätten gelangen können, finden sich dort nur noch von der Hitze
vertrocknete und verbrannte Überreste: Eierschalen, unausgebrütete Eier, aber
auch die verwesenden Körper von verstorbenen Jung- und Altvögeln. Zudem ähneln
die kegelförmigen Schlammnester durchaus Aschehaufen. Man kann sich also
vorstellen, wie ein verlassener Brutplatz auf die Menschen im alten Ägypten
gewirkt haben muss. Als weitere mögliche Vorlage für den Phönix sieht Reichholf
den afrikanischen Kronenkranich. Diese Theorie wird dadurch gestützt, dass
Darstellungen des ägyptischen benu
wie oben gesehen mehr einem Kranich als einem Flamingo gleichen.
Oder kann man den
Ursprung des Phönix eher im Kronenkranich vermuten? https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ce/Bird-neskaya.JPG
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Ob der Phönix seine Vorlage nun im
Kronenkranich, dem Flamingo oder an ganz anderer Stelle fand, wird abschließend
wohl nicht zu klären sein. Ohne Zweifel ist er jedoch eines der bekanntesten
Fabelwesen, das sich bis in die Gegenwart durch eine starke Symbolik
auszeichnet. Nicht umsonst sagt man auch heute noch bei der Rückkehr von
Totgeglaubten, sie seien „wie Phönix aus der Asche“ wieder aufgestiegen.
Zum Weiterlesen:
- Drostel, Janina, Drache, Einhorn, Basilisk. Fabelhafte Fabelwesen, Ostfildern 2007.- Reichholf, Josef H., Einhorn, Phönix, Drache. Woher unsere Fabeltiere kommen, Frankfurt am Main 2012.
super gut!
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