Sonntag, 27. September 2015

Das Ritual des Sitzens

Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum es geregelte Sitzordnungen in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens gibt? Der Bundestagspräsident sitzt den Abgeordneten vorne in der Mitte und leicht erhöht gegenüber. Die Plätze der Abgeordneten im Bundestag sind ebenfalls nicht zufällig gewählt: Der Fraktionsvorsitzende jeder Partei sitzt in der ersten Reihe. Es gibt keine Partei, die ausschließlich hinter einer anderen sitzt. Das Brautpaar sitzt häufig am Kopf einer Tafel oder an einem separaten Tisch mit Blick auf alle Gäste. Bei den meisten Menschen gibt es zu Hause ebenfalls eine feste Sitzverteilung. Und in China sitzt der Gastgeber oder der Gast mit dem höchsten Status in der Mitte mit Blick nach Osten oder auf den Eingang. Die Form der Tische, ob rund oder lang, ist ebenfalls entscheidend: Runde Tische werden meist gewollt genutzt, um eine Gleichrangigkeit der Personen zu betonen; an länglichen Tischen kann eine Rangordnung dargestellt werden. Solche Beispiele von Sitzordnungen lassen sich endlos weiterführen.
Wo aber liegt der Ursprung dieses allgemein bekannten und manifestierten Rituals? Was genau macht ein Ritual eigentlich aus? Auf Basis welcher Grundregeln wird bestimmt, wer wo sitzen muss? Warum machen sich Personen Gedanken darüber, wo andere sitzen sollen und warum brechen Streitigkeiten der „sitzenden“ Personen untereinander aus? Dieser Artikel widmet sich der Beantwortung dieser Fragen und taucht zeitgleich ein in die Welt des Mittelalters, in der der Ursprung dieses Rituals begründet liegt und auf eine korrekte Sitzordnung noch weitaus mehr Wert gelegt wurde als heute.

Sonntag, 20. September 2015

Die Ehefrauen Heinrichs VIII., Teil: Katharina von Aragon



Heinrich VIII. als junger Mann (um 1509), https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_VIII._%28England%29#/media/File:Henry_VIII_%28reigned_1509-1547%29_by_English_School.jpg

Dieses Bild zeigt den schon fast legendären englischen König Heinrich VIII. (1491-1547) im Alter von etwa 18 Jahren. Bekannt wurde er unter anderem dafür, dass er die Reformation in England entscheidend vorantrieb, aber auch für seine insgesamt sechs Ehen, von denen zwei mit der Enthauptung seiner Gattinnen endeten. Während meistens Heinrich selbst im Fokus der Aufmerksamkeit steht, werden wir uns in unserer neuen kurz!-Reihe mit seinen Ehefrauen beschäftigen. Im ersten Teil der Reihe wird es deshalb um seine erste und langjährigste Ehefrau Katharina von Aragon (1485-1536) gehen.

Sonntag, 13. September 2015

Vittoria Colonna - Teil 1*



Sebastiano del Piombo - Vittoria Colonna / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/91/Vittoria_colonna_from_barcelona.jpg

Vittoria Colonna, marchesa di Pescara, (1490-1547) gilt als eine der bedeutendsten italienischen Dichterinnen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wovon nicht zuletzt die ihr gewidmeten Verse aus Ludovico Ariosts berühmtem Orlando Furioso („Der rasende Roland“) zeugen:

e dà tal forza all’alte sue parole,
ch’orna a’ dì nostri il ciel d’un altro sole.
Vittoria è ’l nome; […]

[und sie gibt ihren Worten eine solche Kraft,
dass sie unserer Tage den Himmel mit einer zweiten Sonne schmückt.
Vittoria ist ihr Name…]
(Ludovico Ariosto, Orlando Furioso, XXXVII, 15-18.)

Im Laufe ihres Lebens wurde Vittoria Zeugin der politischen Auseinandersetzungen im kriegsgebeutelten Italien, das als Schlachtfeld zwischen der französischen und spanischen Krone Verwüstung und Tod erlebte. Als Mitglied der römischen Adelsfamilie Colonna erlebte Vittoria die Folgen dieser Auseinandersetzungen aus nächster Nähe: Durch eine arrangierte Heirat aus politischen Motiven kam sie an den aragonesischen Hof der Familie d’Avalos auf Ischia. Früh jedoch wurde sie Witwe, weil ihr Ehemann im Feldzug gegen den französischen König François I. (1494-1547) fiel. Nach dem Tod ihres Gatten wandte sich Vittoria immer mehr der Spiritualität zu und beteiligte sich an den religiösen und reformatorischen Bewegungen in Italien. So verteidigte sie den neu gegründeten Kapuziner-Orden, folgte dem Prediger Bernardino Ochino (1474-1564), der später vor der Inquisition in die Schweiz fliehen musste, und beteiligte sich an der sogenannten Ecclesia viterbensis, einer Gruppe von Kardinälen, Theologen und Intellektuellen, die zu Beginn der 1540er Jahre über eine Reform der Kirche diskutierten.
Heute jedoch ist Vittoria Colonna eher eine Unbekannte, nicht nur für deutschsprachige Leser, sondern trotz großer Bemühungen seitens der italienischen Kulturwissenschaften auch immer noch in Italien. Dem will dieser Beitrag entgegenwirken und Interesse wecken, das Leben und Werk der Vittoria Colonna zu entdecken. 

Sonntag, 6. September 2015

Johannes Corputius – Duisburger Student und niederländischer Unabhängigkeitskämpfer*


"Bei uns ist Johannes Corputius ein Niederländer. […] Er ist ein Mann, der offenbar mit einem sehr reichen Verstande ausgestattet ist. Äußerst erfahren in der griechischen, lateinischen, französischen und deutschen Sprache, sowie in vielen Disziplinen, ist er ebenso ein hervorragender Mathematiker, ein beachtlicher Dichter und ein vorzüglicher Musiker. Neben diesen Fertigkeiten hat er eine nicht geringe Erfahrung im Stechen, sowie die Übung, in Kupfer zu gravieren oder zu zeichnen, und zwar so, daß er es versteht, Landschaften, Städte, Festungen und Burgen aufs genaueste zu kartieren und kunstgerecht durch Zeichnen oder Stechen wiederzugeben."

1570 listete der Rechtsgelehrte und Professor für Rhetorik an der Straßburger Universität, Hugo Blotius, eine Reihe von Eigenschaften und Fertigkeiten des Corputius auf, der sich zu diesem Zeitpunkt als Student in Straßburg immatrikulierte. Demnach spreche der Niederländer eine große Anzahl an Sprachen und beherrsche die Kunst der Kartographie und der Vermessungstechnik. Wer ist dieser junge Mann namens Johannes Corputius und wo erlernte er seine vielen Kenntnisse, die an die Fähigkeiten eines Universalgelehrten erinnern? Was waren wichtige Stationen in seinem Leben und wie vollzog sich seine Entwicklung von einem wissbegierigen Studenten hin zum Hauptmann niederländischer Truppen im Unabhängigkeitskrieg gegen die Weltmacht Spanien im 16. Jahrhundert?

Portrait des Johannes Corputius auf dem Duisburger Stadtplan von 1566 / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/JohannesCorputius.png