„Unter
den altertümlichen Resten war mir, von Kindheit an, der auf dem Brückenturm
aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers merkwürdig gewesen, der von dreien
oder vieren, wie die leeren eisernen Spitzen auswiesen, seit 1616 sich durch
alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von
Sachsenhausen nach Frankfurt zurückkehrte, hatte man den Turm vor sich, und der
Schädel fiel ins Auge. Ich ließ mir als Knabe schon gern die Geschichte dieser
Aufrührer, des Fettmilch und seiner Genossen erzählen, wie sie mit dem
Stadtregiment unzufrieden gewesen, sich gegen dasselbe empört, Meuterei
angesponnen, die Judenstadt geplündert und gräßliche Händel erregt, zuletzt
aber gefangen und von kaiserlichen Abgeordneten zum Tode verurteilt worden.“
Diese
zitierte Passage stammt von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832) und findet sich im vierten Buch des ersten Teils seiner
Autobiographie Aus meinem Leben. Dichtung
und Wahrheit. In wenigen Worten schilderte Goethe hier die Geschehnisse,
die sich zwischen Sommer 1612 und Frühjahr 1616 in Frankfurt am Main zugetragen
haben und offensichtlich bis in Goethes Gegenwart nachwirkten. Die Rede ist vom
sogenannten Fettmilch-Aufstand, benannt nach seinem Anführer, dem
Lebkuchenbäcker Vinzenz Fettmilch (um 1565-1616), um den es in diesem Artikel
gehen soll.